Katrin Bellinger, Spezialistin für Altmeister-zeichnungen: Ihren ersten Ankauf, eine kleine holländische Zeichnung, hütet sie bis heute.

Foto: Bellinger

Il Volterrano (1611-1690): Die Rötelstudie ist eine der Vorzeich- nungen für die Fresken in der Medici-Villa Petraia (180.000 US-Dollar).

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Bellinger versteht versierte Sammler und interessierte Messebesucher zu begeistern. Ein Porträt der ebenso kunstsinnigen wie erfolgreichen Tochter eines Textilunternehmers.

London – Mandeln, Puddingcreme, ein Schuss Rum, Schokolade und Fondant sind nur einige der Zutaten des Backwerks, aber noch heute zaubert die Esterházy-Schnitte Katrin Bellinger ein Lächeln ins Gesicht. Das sind die süßen Erinnerungen an die Reisen nach Österreich zur Eröffnung diverser Kleider-Bauer- Filialen ihres Vaters.

Längst ist das Unternehmen verkauft und keine der drei Töchter fasste in der Branche Fuß. 1958 kam Katrin Bellinger, heute renommierte Spezialistin für Altmeisterzeichnungen, in Köln auf die Welt. Der erste Berufswunsch entsprach noch den stillen Erwartungen des Elternhauses, es wurde ein Studium der Betriebswirtschaft in Angriff genommen.

Die kreative Ader führte schließlich zur Passion. Über das Zeichnen – zur Übung kopierte sie Alte Meister – kam die Liebe zum Fach, das entdeckt werden wollte: in in Kabinetten sorgsam verwahrten Blättern, Folianten voll von zeichnerischen Wunderwerken, feinen oder akkuraten Studien für Fresken, graziösen Entwürfen für Porträts, alten Musterbüchern.

"Der Reiz der Zeichenkunst liegt in ihrer Unmittelbarkeit, denn in der Entwurfszeichnung erkennt man die Handschrift des Künstlers und kann damit dem Gedankenprozess folgen, der bis zum fertigen Kunstwerk reicht", erklärt Bellinger ihre Leidenschaft. Beruflich sammelte sie Erfahrungen bei Neumeister, dann in London bei Sotheby's. Im Alter von 27 Jahren fiel die Entscheidung: Katrin Bellinger eröffnete in München ihre eigene Kunsthandlung. Mutig, so ganz ohne Kundenstamm, Akquisitionspotenzial, nur mit Leidenschaft ausgestattet. Der Markt erlebte gerade einen Aufschwung und in Wolfgang Ratjen, Hinrich Sieveking und David Lachenmann fand sie fachliche Begleitung von unschätzbarem Wert. "Diese Sammler haben mich mit Rat und Tat unterstützt, mich vor teuren Fehlern bewahrt."

Nächtelang wurden Ankäufe diskutiert, der Katalog für die erste Ausstellung in London 1987 wurde akribisch Korrektur gelesen. Knapp 15 Jahre später übernehmen sie und Konrad O. Bernheimer die traditionsreiche Kunsthandlung Colnaghi. Bellinger leitet dort die Sektion Altmeisterzeichnungen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Söhnen Paul und Johannes lebt sie nun in London. "Im Halbdunkel!", moniert die Familie nicht selten, da Sonnenstrahlen sofort mit dem Zuziehen der Vorhänge quittiert werden. Beruflich ist sie viel unterwegs, ein versiertes Team hält an den Bellinger- Standorten die Stellung, wenn sie Ausstellungen oder Auktionstermine nach New York, Maastricht oder wie aktuell nach Paris führen. Bis zum 27. März setzt sie im Rahmen des Salon du Dessin feine Arbeiten italienischer Zeichner in den Mittelpunkt ihrer Präsentation. Etwa die Rötelstudie eines schreitenden Jünglings des Florentiners Il Volterano, eine Vorzeichnung für eine der Fresken der Medici-Villa Petraia, Kostenpunkt 180.000 US-Dollar. Anlässlich des 20- jährigen Firmenjubiläums publizierte Bellinger Ende vergangenen Jahres einen Katalog mit ausgesuchten Werken, die ihren Werdegang beispielhaft skizzieren.

Der erklärte Höhepunkt bisher? "Ganz klar, Michelangelo", erklärt sie prompt, und meint die im Juli 2000 bei Christie's für den Rekordzuschlag von umgerechnet 11,86 Millionen Euro erworbene und an einen Sammler weitergegebene Studie zur Auferstehung Christi. (Kunstmarkt, DER STANDARD, Printausgabe, 23.03.2006)