Zur Person
Julie Scott ist Anthrophologin am "Institute for Culture, Tourism and Development" der Londoner Metropolitan University.

Foto: derStandard.at/Fercher
Zypern ist beliebtes Reiseziel und zugleich durch einen nunmehr über 30 Jahre dauernden Konflikt geprägt: In dem neu erschienen Buch "Trauminseln? Tourismus und Alltag in Urlaubsparadiesen" widmet sich die britische Anthropologin Julie Scott jenem Spannungsfeld auf der geteilten Insel. Im derStandard.at-Interview mit Sonja Fercher schildert Scott Herausforderungen, aber auch Chancen, die eine Zusammenarbeit im Tourismus aus ihrer Sicht für eine Annäherung zwischen Nord und Süd bieten könnte.

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derStandard.at: In Ihrem Beitrag bezeichnen Sie Tourismus als "Basis für eine Annäherung". Allerdings betrifft Entwicklung im Tourismus Themenbereiche wie Enteignungen von Flüchtlingen oder aber Gebietsansprüche, die nach dem Scheitern des Annan- Plans nach wie vor ungelöst sind. Gibt es dafür ein Bewusstsein, dass damit neue Konflikte entstehen könnten?

Julie Scott: Ich habe an einem Projekt gearbeitet, das zum Ziel hatte, über eine Zusammenarbeit von Dörfern griechischer und türkische Zyprioten sanften Tourismus zu entwickeln. Es macht nicht nur für die Umwelt deutlich mehr Sinn, Ressourcen in eine nachhaltige Entwicklung zu stecken: Die Menschen können davon auch viel direkter profitieren als vom Massentourismus.

Ich habe im Rahmen des Projekts in einem Dorf gearbeitet, das früher gemischt war. Im Jahr 1974 aber haben es die griechischen Zyprioten verlassen (als die Türkei nach dem Putsch griechischer Faschisten den Norden besetzte, Anm.). Heute leben dort türkische Zyprioten, die bereits vor 1974 dort zu Hause waren, türkisch-zypriotische Flüchtlinge aus der Region Paphos im Süden sowie türkische Siedler. Die Einwohner bestehen rund zu einer Hälfte aus türkischen Zyprioten und zu einer anderen aus Türken. Sie sind sich der Problematik des Eigentums sehr bewusst und sehr vorsichtig.

derStandard.at: Wenn man im Internet nach dem Begriff "Nordzypern" sucht, findet man eine ganze Latte von Agenturen, die Grund oder Ferienhäuser verkaufen - bei vielen ist zweifelhaft, inwieweit hier auf Natur oder politische Probleme Rücksicht genommen wird. Gibt es da auch andere Beispiele?

Scott: Durch das Scheitern des Referendums über den Annan-Plan ist ein Vakuum entstanden und nun werden vor Ort Fakten geschaffen, die sehr schwer rückgängig zu machen sein werden und die Dinge enorm erschweren. In dieser Eile, im Norden eine positive Entwicklung herbeizuführen zeichnet sich eine wirklich beunruhigende Entwicklung ab, die eine enorme Gefahr für die Natur darstellt.

Es gibt aber einen Bedarf für sanften Tourismus und die Menschen sind bereit, hier zusammenzuarbeiten und einen Weg zu finden, ohne den Friedensprozess zu gefährden. Wenn man mit Bauern spricht, so ist sowohl im Norden als auch im Süden eine Bereitschaft dafür erkennbar. Spricht man hingegen mit Reisebüros oder Tourismus-Betreibern, so wollen sie geradezu ganze Tourismus-Ressorts anbieten, weil sie meinen, dass jetzt der beste Moment dafür ist, aber auch weil es dafür einfach eine Nachfrage gibt.

Inzwischen gibt es aber auch internationale Agenturen, sowohl aus den USA als auch aus der Europäischen Union, die Geld in umweltschonende Entwicklungen investieren wollen, um die Umweltkatastrophe zu verhindern, die hier jeden Tag näher kommt. Sie sind bei diesen Themen sehr vorsichtig und versuchen, über lokales Wissen und sozusagen einen ethischen Zugang einen Weg zu finden.

Das alles ist Teil einer generellen Restrukturierung des mediterranen Tourismus, die im Moment stattfindet. Das Mittelmeer war der erste Ort, wo sich Massentourismus entwickelt hat, zugleich werden hier nun die Grenzen dieser Entwicklung sehr deutlich. Es gibt eine generelle Bewegung weg vom Massentourismus zu kommen, auch die Strategie der Cyprus Tourism Organisation bewegt sich in diese Richtung.

derStandard.at: Allerdings ist die wirtschaftliche Situation im Norden nicht gerade rosig, zugleich gibt es ein großes Potenzial für Tourismus. Hat man mit dem Konzept Nachhaltigkeit unter solchen Bedingungen überhaupt eine Chance, wo doch mit Massentourismus schneller und mehr Geld gemacht werden kann?

Scott: Im Norden sehen zwar viele die Notwendigkeit ein, zugleich aber haben manche das Gefühl übergangen worden zu sein, weil man über 30 Jahre von vielen Entwicklungen abgeschnitten war- Dabei muss man bedenken, dass es im Norden ein deutlich niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen gibt als im Süden.

Allerdings gibt es noch eine andere Begründung für die Entwicklung hin zu großen Hotelanlagen, nämlich dass es einen gewissen Anteil an Massentourismus braucht, um eine kritische Masse an Infrastruktur schaffen zu können. Wenn man zum Beispiel die Zahl der Flüge erhöhen und das Interesse der großen Reiseveranstalter gewinnen möchte, müsse man ein gewisses Angebot zur Verfügung stellen können. Das ist natürlich ein kontroversieller Standpunkt, ich selbst bin mir dessen nicht so sicher und halte es für keine wirklich gute Idee.

derStandard.at: In der Nähe von Kerinia/Girne entstehen riesige Siedlungen, die eigentlich den Verdacht nahe legen, dass der Norden im Begriff ist die gleichen Fehler zu machen, wie die Republik Zypern in Gegenden wie Agya Napa.

Scott: Der Norden hat ein anderes Problem völlig ignoriert, nämlich dass hier Zweitwohnsitze gebaut werden in der Form ganzer Ferienhaus- Siedlungen, die komplett unreguliert entstanden sind.

Es wird sehr wohl auch versucht Maßnahmen zu setzen, um bestimmte Gebiete zu erhalten und zu schützen, im Moment im Besonderen auf der Halbinsel Karpaz (Landzunge im Nordosten der Insel, Anm.). Dieses Gebiet war bis vor Kurzem noch völlig unberührt und ist nicht nur wegen der dortigen Biodiversität immens wichtig, sondern auch aus kulturellen Gründen. Die Behörden im Norden haben am Ende der Halbinsel ein Naturschutzgebiet errichtet und bemühen sich auch um ähnliche Maßnahmen in den Gebieten, die an den Park angrenzen.

Das Problem aber ist Folgendes: Will man solche Maßnahmen umsetzen, braucht man dafür auch die Unterstützung in der Öffentlichkeit. Man kann den Menschen nicht sagen "Sorry, keine Entwicklung für Euch, Ihr müsst arm bleiben". Man muss ihnen etwas anbieten können, das sie ermutigt, ihre Umwelt zu schützen und ihr Eigentum nicht einfach nur zu verkaufen, egal was dann damit passiert. Ich denke also, hier ist Eile geboten.

derStandard.at: Bei all diesen Problemen: Ist es unter diesen Umständen überhaupt möglich, Entwicklung im Tourismus voranzutreiben, ohne dass es eine politische Lösung gibt?

Scott: Das Problem besteht darin, dass die Menschen nun schon lange auf eine politische Lösung warten, und sie ist weiterhin nicht in Sichtweite.

Ich denke aber auch, dass man nicht darauf warten sollte, sondern man muss etwas tun - etwa solche Initiativen zu fördern und dann darauf zu warten, dass die Politik den Entwicklungen vor Ort folgt. Es ist Teil des Problems, dass man alles den Regierungen und Politikern überlässt, die sich aber auch deutlich langsamer bewegen als die Menschen. Es braucht ein bisschen "people´s power". (18.4.2006)