Dr. Oskar Pilzer mit seiner Frau und seinen Söhnen Georg und Herbert

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Die Pilzer-Erben fordern die Restitution: Die Rosenhügelstudios, heute Filmstadt Wien, gehörten der Tobis-Sascha.

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Pilzers Erben kämpfen um Restitution. Das Problem: Die "Arisierung" der Tobis-Sascha-Film, die danach zur Wien-Film wurde, erfolgte bereits 1937. Thomas Trenkler berichtet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden alle Rechtsgeschäfte während der NS-Zeit für nichtig erklärt: Das war die Basis für Restitutionen an die Opfer des Nationalsozialismus. Der 13. März 1938, an dem der "Anschluss" an das Deutsche Reich proklamiert wurde, ist auch heute der Stichtag für sämtliche Rückstellungs- und Entschädigungsmaßnahmen.

Was davor passierte, interessiert die Politik nicht. Und auch nicht die Bank Austria Creditanstalt im Fall Pilzer: "Die Sachverhalte betreffen Vorkommnisse in den Jahren 1934 bis 1937, einem Zeitraum also, der nicht von den Restitutionen und Entschädigungsmaßnahmen für die in der Zeit von 1938 bis 1945 erlittenem Unrecht erfasst wurde" (sic). Der u.a. von Gerhard Renner, Armin Loacker und Eva Blimlinger recherchierte Fall beweist aber ganz eindeutig, dass es bereits vor Hitlers Einmarsch zu einer "Arisierung" im großen Stil gekommen war. Mithilfe der damaligen Creditanstalt.

Um die Geschichte zu erklären, muss man ein wenig zurückblenden: Die einzige große Überlebende der österreichischen Stummfilmzeit war die Sascha-Filmindustrie AG. Aber auch sie schlitterte im Zuge der Umstellung auf Tonfilm Anfang der 30er-Jahre in die Krise. 1932 übernahmen Oskar Pilzer und seine Brüder das Unternehmen. Im Frühjahr 1933 gelang es, die Berliner Tobis-Tonbild-Syndikat AG als Investor zu gewinnen: Es kam zur Umbenennung in Tobis-Sascha-Filmindustrie.

Ende 1933 entstanden die ersten Aufnahmen in den neu adaptierten Rosenhügel-Ateliers, einem riesigen Gelände am Stadtrand. Wenig später wurde der Film "Maskerade" (Regie: Willi Forst, Drehbuch: Walter Reisch) mit Paula Wessely, Adolf Wohlbrück und Hans Moser gedreht, der zum Aushängeschild des "Wiener Films" werden sollte.

Zur gleichen Zeit begann in Deutschland Propagandaminister Joseph Goebbels die Mitwirkung von Juden an Filmen zu untersagen. Und das Engagement der nach Wien emigrierten Filmschaffenden versuchte die Reichsfilmkammer durch ein Importverbot zu verhindern. Pilzer, Präsident der Wiener Filmproduzenten, machte Zugeständnisse, bestand aber darauf, dass "in der Verwendung von 'Österreichern' keine Beschränkung verlangt werden" dürfe. Doch auch die "bodenständigen Nichtarier" waren dem NS-Regime zuwider: Ein Jude wurde "sogar als dritter Kameramann beanstandet".

1935 kam es zu einer weiteren Verschärfung: Die österreichischen Produzenten, die auf den deutschen Markt angewiesen waren, sagten zu, generell auf die Mitwirkung von Juden zu verzichten. Die Lage wurde dennoch immer prekärer: Das NS-Regime verbot, dass die in Deutschland erzielten Erlöse nach Österreich transferiert werden, was dazu führte, dass manche Produzenten "in Mark flüssig, in Schillingen gepfändet" waren. Es kam zu einem Stillstand der Filmproduktion.

Von den NS-Maßnahmen betroffen war auch Tobis-Sascha: Das Unternehmen hatte zwar in Deutschland ein eingefrorenes Bankguthaben in der Höhe von mehr als einer Million Reichsmark, die Creditanstalt, die am Unternehmen zu einem geringen Teil beteiligt war, verweigerte aber weitere Darlehen. Der Betrieb stand vor dem Aus.

Und das war ganz im Interesse der Nationalsozialisten, die schon 1934 erste Versuche gestartet hatten, die Tobis-Sascha zu übernehmen. Zudem wollte man nicht mehr mit dem "Nichtarier" verhandeln: Weil sich die Transferschwierigkeiten nicht lockern ließen, solange die Pilzer-Gruppe tonangebend war, legte Oskar Pilzer Ende 1936 sein Präsidentenamt nieder.

Am 23. Jänner 1937 trat der bis dahin höchst erfolgreiche Unternehmer seine Geschäftsanteile "im Nennbetrage von 33.333,33 Schilling" der CA ab – um 1000 Schilling. Und selbst die erhielt nicht.

Die CA als Strohmann?

Die Bank schloss gleich danach ein Syndikatsabkommen mit der Tobis AG ab, die über die Treuhandgesellschaft Cautio bereits in den Besitz des Dritten Reiches gelangt war. Max Winkler, Chef der Cautio, die im Auftrag Goeb 5. Spalte bels Film- und Verlagsgesellschaften unter ihre Kontrolle zu bringen hatte, stellte nun mit Genugtuung fest, die Tobis-Sascha sei "entjudet".

Laut Armin Loaker spreche vieles dafür, dass die CA bei dieser Transaktion "als Strohmann der Tobis AG" (und der Cautio) fungierte. Die Tobis-Sascha wurde aufgelöst – und feierte Ende 1938 als Wien- Film GmbH ihre Wiederauferstehung. 1945 beschlagnahmten die Sowjets die Rosenhügelstudios, 1955 wurden sie an die Republik Öster 6. Spalte reich übergeben. 1987 kaufte der ORF das Gelände an.

Über ihren Anwalt Martin Schuppich wandten sich die Pilzer-Erben Ende November 2005 an Erich Hampel, den Generaldirektor der BA-CA. Die Rechtsabteilung der Bank antwortete, dass man das "seitens der Familie Dr. Pilzer offenbar erlittene Unrecht" zutiefst bedauere, aber "für etwaige Restitutionsansprüche" sei "kein Raum gegeben": Es sei "nicht erwiesen, dass den damals für den Vorstand der Creditanstalt Bankverein handelnden Personen ein etwaiger Unrechtsgehalt ihrer Vorgangsweise bewusst war".

Schuppich will sich mit dieser lapidaren Antwort nicht zufrieden geben. Für ihn hat die CA den von Hitler- Deutschland ausgehenden Druck "verstärkt, ausgenützt und die entscheidenden Maßnahmen zur faktischen Enteignung" von Oskar Pilzer gesetzt. Ihm wurde "ein angemessener Gegenwert für die ihm abgepressten Geschäftsanteile, ja sogar der vereinbarte Gegenwert, vorenthalten".

Da es noch weitere Fälle von Zwangsverkäufen vor dem März 1938 gegeben haben dürfte, fordert Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen, ein Umdenken: Die Provenienzforschung habe sich auch mit der Zeit seit dem 30. Jänner 1933, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, zu beschäftigen. Und der Stichtag, der für Entschädigungen gilt, habe entsprechend vorverlegt zu werden.

Der Mann hinter "Maskerade"
Das Schicksal des Filmproduzenten Oskar Pilzer und seiner Familie

Oskar Pilzer, geboren 1882, war Rechtsanwalt und arbeitete u. a. für die Internationale Handelsbank, bevor er in die Filmbranche wechselte. 1930 wurde Pilzer zum Vorsitzenden des Verwaltungsrates der Sascha-Filmindustrie bestellt, die ihre Filmstudios in Sievering hatte. 1932 übernahm die Pilzer-Gruppe (die Brüder Oskar, Kurt, Severin und Viktor Pilzer) unter der Führung von Oskar Pilzer die Sascha, die etwas später zur Tobis-Sascha AG wurde und die Rosenhügel-Studios übernahm.

Oskar Pilzer bekleidete in der Folge bis Ende 1936 auch das Amt des Präsidenten des Gesamtverbandes der Filmproduktion in Österreich. Die Pilzer-Brüder gehörten zu den bedeutendsten Filmproduzenten dieser Jahre. In ihrem (Teil-)Besitz befanden sich noch andere Produktions- und Verleihfirmen, darunter die Vienna-, Gloria-, Rex- und Viktoria- Film und die Walter- Reisch-Filmproduktion. Nach "Maskerade" (1934) kam es zu keiner Eigenproduktion der Tobis-Sascha mehr: Die AG vermietete die Studios und verlegte ihre Aktivitäten auf die Distribution von Filmen, wofür eine eigene Gesellschaft gegründet wurde.

Oskar Pilzer emigrierte nach dem "Anschluss": Er lebte bis Anfang 1939 in Rom und anschließend in Paris, wohin ihm seine Frau Hilda mit den beiden Söhnen Georg, geboren 1921, und Herbert, geboren 1923, folgte. Im Juni 1939 starb Pilzer an den Folgen einer Operation. Er verfügte über keine nennenswerten finanziellen Mittel: Das nach der Abtretung der Geschäftsanteile verbliebene Vermögen musste zur Bezahlung der Reichsfluchtsteuer aufgewendet werden.

Das Geld reichte gerade für eine abenteuerliche Flucht der Witwe und ihrer Söhne 1940 nach Casablanca und die Schiffspassage 1941 nach New York. George arbeitete dort anfangs als Packer, Herbert als Laufbursche.

Beide Söhne gingen ins Filmgeschäft: George Pilzer arbeitete sich ab 1952 vom Lehrling bei Columbia Pictures bis zum leitenden Manager empor. Zuletzt war er Vizepräsident der 20th-Century-Fox International für Kontinentaleuropa mit Sitz in Paris, wo er heute lebt.

Herbert Pilzer blieb in den USA. Er gründete ein Unternehmen für die Herstellung und den Vertrieb von technischem Filmzubehör. Es wird seit seinem Tod 2003 von seinem Sohn Neal fortgeführt. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.4.2006)