Foto: Christie's

Experten von Christie's entdeckten ein seit der NS-Zeit verschollenes Werk von Egon Schiele, das Karl Grünwald geraubt worden war. Der Besitzer gab es zurück. Am 20. Juni werden die "Welken Sonnenblumen" in London versteigert.

Paris/London – Die Geschichte der Entdeckung des seit mehr als 60 Jahren verschollenen und zerstört geglaubten Gemäldes "Welke Sonnenblumen" beziehungsweise "Herbstsonne II" von Egon Schiele beginnt Ende vergangenen Jahres in Frankreich: Der nur mit marginalen Kenntnissen der Kunstgeschichte ausgestattete Besitzer wendet sich an Christie's.

Sein Begehr: eine Schätzung des Werkes. Routine für die Experten, die angesichts des beiliegenden Fotos vorerst eine Kopie des legendären Ölbildes aus der Sammlung Karl Grünwald vermuten. Denn die Spur zu dem 1914 gemalten Werk, das davor auch im Besitz von Richard Lanyi war, verliert sich 1942.

In ihrem Handbuch "Was einmal war" über die enteigneten Kunstsammlungen Wiens, 2003 im Czernin Verlag erschienen, skizziert Sophie Lillie die Etappen bis zum völligen Verschwinden des Gemäldes. Im September 1938 flüchtet der 1887 in Wien geborene Kunst- und Antiquitätenhändler Grünwald, ein Freund und Förderer von Schiele, nach Frankreich, 1940 weiter in die USA. Seine Kunstsammlung verbleibt in der Wohnung in Hietzing, die von der Devisenstelle versiegelt wird.

Die schlicht als "moderne Bilder" beschriebene Kollektion wird mit 6000 Reichsmark bewertet und für die Ausfuhr angemeldet. Der Antrag enthält keine näheren Angaben, da Werke zeitgenössischer Künstler – bis 20 Jahre nach ihrem Tod – grundsätzlich keiner Ausfuhrsperre unterlagen, Schieles Arbeiten daher erst 1939 bewilligungspflichtig gewesen wären. Nur Teile des Bestandes ließen sich bisher über das Werkverzeichnis Jane Kallirs identifizieren, nämlich "Stadtende" (Kallir P 331), das "Bildnis Karl Grünwald" (Kallir P 307) nebst zugehörigen Studienzeichnungen sowie die "Welken Sonnenblumen" (Kallir P 280).

Zwangsversteigerung

Noch während seines Aufenthaltes in Paris versuchte Grünwald den Transport der 50 Gemälde zu organisieren. Die vorläufig letzte Spur seiner Sammlung findet sich bei einer Spedition in Straßburg, wo sie von der NS-Besatzung beschlagnahmt und zwangsversteigert wird.

Bis zu seinem Tod 1964 versucht Karl Grünwald seinen ehemaligen Besitz zu lokalisieren. Dieses Erbe übernimmt Sohn Frederic, teilweise mit Erfolg: Die Restitution des Porträts seines Vaters setzt er ebenso durch wie im Jahr 2000 die Rückstellung des Klimt-Gemäldes Die Erfüllung seitens des Museums moderner und zeitgenössischer Kunst in Straßburg. Die "Welken Sonnenblumen" aber, das wichtigste Werk der Sammlung, blieben verschollen. Frederic Grünwald starb im September 2004.

Einige Monate später betreten Thomas Seydoux, Leiter des Departments Impressionist & Modern Art Christie's Paris, und Andreas Rumbler, Geschäftsführer von Christie's Deutschland, eine bescheiden eingerichtete kleine Wohnung. Es schien ihnen unwahrscheinlich, hier auf einen Schatz zu stoßen, und die kühnsten Hoffnungen wurden schnell beiseite geschoben.

Doch dann folgte ein unvergesslicher Moment: "Ein einziger Blick hatte genügt, kein Zweifel, wir standen vor dem Meisterwerk", schildert Seydoux dem STANDARD jene auch aus Sicht eines erfahrenen Experten einmaligen Minuten.

Rückgabe an die Erben

Dem Eigentümer, der laut Christie's "das Werk vor einigen Jahren aus französischem Privatbesitz erwarb und anonym bleiben will", wird die problematische Provenienz erläutert. Als Privatperson unterliegt er keiner juristischen Verpflichtung zur Rückgabe. Unter bei Christie's ebenfalls nicht näher bekannten Umständen folgt er aber einer moralischen Verpflichtung – und gibt das Bild an die Grünwald-Nachkommen zurück. Und die siebenköpfige Erbengemeinschaft, Kinder und Enkel, hat sich nun zur Versteigerung bei Christie's in London entschlossen.

Im Rahmen der Schaustellung zur Auktion am 20. Juni 2006 wird das Werk erstmals seit 1937 in der Öffentlichkeit zu sehen sein. Die Schätzungen belaufen sich auf vier bis sechs Millionen Pfund (umgerechnet rund 5,8 bis 8,7 Millionen Euro). Und erstmals in der Geschichte der 1993 etablierten Sparte German & Austrian Art wird dazu sogar ein zweiter Sales-Termin eingeschoben.

Begleitet werden die "Welken Sonnenblumen" von der seit zehn Jahren wohl stärksten Fraktion an Schiele-Aquarellen: fünf ehemals aus der Sammlung Gerstel stammende Arbeiten der Jahre 1911 bis 1917, die man zuletzt als Leihgabe im Museum of Modern Art bewundern durfte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.4.2006)