Jede Partei ihre Plakatfläche, jeder Splittergruppe ihre Ständer: Plakatewald in Innsbruck.

Foto: Schlosser
Wahlkampf in Innsbruck ist anders: Die Grünen könnten den Bürgermeistersessel erobern, die ÖVP marschiert nicht vereint, sondern schlägt getrennt, und die Studentendichte ist so hoch wie nirgendwo.

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"Ein Drittel zu ein Drittel zu ein Drittel", antwortete Landeshauptmann Eduard Wallnöfer, als ihn Bundeskanzler Bruno Kreisky bei einer Tour durch Tirol nach den Machtverhältnissen im Dorf fragte, durch das sie fuhren.

"So stark sind wir da!", freute sich der SPÖ-Vorsitzende – verfrüht. "Nein, nein. Ein Drittel Bauernbund, ein Drittel Wirtschaftsbund, ein Drittel Arbeitnehmerbund", klärte "der Walli" ihn auf.

"Österreichisches Kuriosum"

Wallnöfers Schwiegersohn Herwig van Staa erzählte die Schnurre ein paar Tage vor den Gemeinderatswahlen in Innsbruck als Beleg für das "österreichische Kuriosum", wonach bei Gemeinderatswahlen in Tirol in fast jeder Gemeinde ÖVP-Listen gegeneinander antreten, um sich nach der Wahl die Macht meist einhellig zu teilen.

Auch in Innsbruck hat das Tradition – eine, die dafür sorgt, dass die "bürgerliche Mehrheit" noch nie ins Wanken geraten ist.

""Stahlhelme"

Bei den Gemeinderatswahlen im Jahr 1994 hatte van Staa gemeinsam mit der jetzigen Bürgermeisterin Hilde Zach die Liste "Für Innsbruck" (FI) gegründet: Wirtschafts- und Bauernbündler und einige Parteilose – fertig war die "Bürgerbewegung". FI überholte auf Anhieb die von van Staa im Wahlkampf als "Stahlhelme" titulierte amtierende Bürgermeister-ÖVP. Van Staa ließ sich mit ihrer Hilfe selbst zum Stadtoberen wählen.

Beim nächsten Urnengang 2000 baute van Staa seine Macht aus. Zwei Jahre später wurde der "Parteirebell" ÖVP- Landesobmann, dann Landeshauptmann – und Zach erste Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt.

Vier Listen mit ÖVP-Bezug

Auch diesen Sonntag kandieren gleich vier Listen mit ÖVP- Bezug: die Stamm-ÖVP mit Vizebürgermeister Eugen Sprenger, die Liste "Für Innsbruck", der "Seniorenbund" und die "Freie Liste" von Rudi Federspiel – Letztere deckt den rechten Rand des schwarzen Spektrums ab. Federspiel stand früher an der Spitze der FPÖ, wurde 1998 ausgeschlossen und sitzt jetzt auf Wunsch van Staas als Parteiloser auf einem VP-Sitz im Landtag. Van Staa wünscht, dass die Rechtspopulisten auf Kosten der FPÖ stärker werden. Diese sind eine Art Reserve für den bürgerlichen Machterhalt.

Tricks und Desaster

Der Trick mit der Liste hat in Innsbruck bisher allerdings nur bei der ÖVP funktioniert: Als 2000 ein Streit in der SPÖ zur Bildung der Liste "Soziales Innsbruck" (SI) führte, kam es zum Desaster. Von den zwölf Mandaten blieben der SPÖ fünf, SI erreichte zwei. Auch deshalb tritt die SPÖ unter Wohnungsstadträtin Marie-Luise Pokorny-Reitter diesmal wieder geeint an und rechnet sich – so wie die beiden ÖVP-Listen und die Grünen – Chancen auf Platz eins aus.

Die grüne Hoffnung ist nicht ganz unberechtigt: Die Partei wuchs in den letzten Jahren stetig, Tirol, insbesondere Innsbruck, ist inzwischen eine grüne Hochburg – auch in europäischen Dimensionen.

Grün-Sein hat Tradition

Grün-Sein hat Tradition in Tirol: 1994 stellten die Grünen erstmals eine Landesrätin, schon seit Ende der 80er-Jahre sitzen sie, ohne je einer Koalition anzugehören, im Innsbrucker Stadtsenat.

Weiter Aufwind gaben die letzten Wahlerfolge: Mit 26,9 Prozent in Innsbruck bei den Landtagswahlen 2003 erzielten sie einen grünen EU-Spitzenwert in einer Kommune, knapp hinter Helsinki (27 Prozent). Und mit dem neuerlichen Rekordergebnis von 28,3 Prozent bei der EU-Wahl 2004 überholten sie sogar die ÖVP in Innsbruck und wurden zur stimmenstärksten Kraft.

Akademiker und Singles

Stark zugelegen konnten die Ökos zuletzt vor allem in Vierteln mit hohem Akademikeranteil und mit Singlehaushalten. Der Politologe Anton Pelinka führt im STANDARD-Gespräch die Stärke der Grünen vor allem auf den hohen Anteil an Universitätsbevölkerung zurück. Auf 120.000 Einwohner kommen 24.000 Studierende, das ist die höchste Dichte in Österreich.

Personalpolitik

Dass es den Grünen gelingt, wie es der Politologe Peter Filzmaier formulierte, "neben alternativen Wählerschichten auch viele bürgerlich-liberale Sympathisanten anzusprechen", hängt auch mit ihrer Personalpolitik zusammen, die diese gesellschaftliche Breite konsequent reflektiert, auch bei dieser Wahl. Mit der aus der Solidaritätsbewegung stammenden Uschi Schwarzl auf Platz eins und dem grün-liberalen Klubchef Georg Willi als Bürgermeisterkandidaten treten sie als Doppelpack an. (DER STANDARD, Printausgabe 22./23.4.2006)