Rajko Bozic mit seinen Forderungen in Brüssel.

Foto: privat
Ende April wurde im EU-Ministerrat die Erhöhung der Gebühren für Schengen-Visa von 35 auf 60 Euro beschlossen. Damit sollen die Kosten gedeckt werden, die die neuen biometrischen EU-Pässe verursachen. "Unzumutbar" und ein "Schlag in die Gesichter" der Menschen in Südosteuropa, die ohnehin schon das Gefühl haben, in "Ghettos zu verkommen", meint Rajko Bozic vom Bürgerpakt für Südosteuropa. Er hat die Kampagne "Not60euros" ins Leben gerufen, die alle EuropäerInnen dazu aufruft, Soundclips mit diesem Satz in ihrer Sprache zu schicken. Für das Musikfestival "Exit" in Novi Sad im Juli soll daraus ein Dance Tune entstehen.

Der Abbruch der EU-Verhandlungen mit Serbien-Montenegro hat laut Bozic große Enttäuschung hervorgerufen. "Die Jugend will nicht einsehen, dass sie für etwas bestraft wird, das die Regierung nicht zustande bringt".

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derStandard.at: Ihr habt als Reaktion auf die geplante Erhöhung der Visagebühren von 35 auf 60 Euro die Kampagne "Not60euros" gestartet. Warum?

Bozic: Wir versuchen die Öffentlichkeit auf die Einschränkungen unserer Reisefreiheit aufmerksam zu machen und das Thema auf der Agenda zu halten. Schon jetzt ist es schwierig genug für Leute aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien oder Serbien-Montenegro oder Albanien, in die EU zu reisen. Daran leidet vor allem die Jugend. Junge Menschen hier haben das Gefühl, in einem Ghetto zu verkommen. Die Visagebühren zu erhöhen wäre nur ein weiterer Schlag in deren Gesichter und ein weiterer Stein in der Schengen-Wand. 17 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer existiert damit in Europa eine weitere, genauso unüberwindliche Mauer.

Das Ärgerliche ist, dass das alles völlig den Beteuerungen widerspricht, die die EU-Außenminister beim letzten Gipfel im März von sich gegeben haben. Viele der jungen Leute hier haben einfach nur den Wunsch, von hier wegzugehen, wenn sie sehen, wie viel mehr Alternativen den Gleichaltrigen aus anderen europäischen Ländern geboten werden. Mit unserer Kampagne versuchen wir, eine Lobby auf EU-Ebene zu bekommen. Wir wollen aber auch unsere Regierung dazu auffordern, das zu tun, was von ihnen verlangt wird.

derStandard.at: Dieses Gefühl der Ghettoisierung, das Sie beschreiben, wie wirkt sich das gesellschaftlich und politisch aus?

Bozic: Die meisten jungen Serben im Alter von etwa 18, 20 Jahren waren noch niemals im Ausland, schließlich gilt dieses Visaregime schon seit mehr als 10 Jahren. Sie kennen andere Kulturen höchstens aus dem Fernsehen. Wie soll eine solche Generation ein neues, stabileres Serbien aufbauen?

Ethnische Gruppen leben bei uns viel abgegrenzter, als in den meisten anderen Ländern Europas. Die jungen Leute haben kaum Gelegenheiten, fremde Kulturen kennen und verstehen zu lernen. So nimmt die Diskriminierung an serbischen Schulen immer mehr zu. Das ist äußerst alarmierend.

derStandard.at: Experten warnen in diesem Zusammenhang davor, dass der Boden für nationalistische und radikale Gruppierungen ideal ist.

Bozic: Was eine logische Folge von jahrelanger Isolation ist. Es ist sehr leicht für die rechten Parteien, Gehör zu finden. Es gibt da beispielsweise eine sehr interessante Umfrage, nach der 28 Prozent der männlichen und 27 Prozent der weiblichen Jugendlichen es als unpatriotisch empfinden, ausländische Musik zu hören. 38 Prozent der Oberstufenschüler machen sich Sorgen darüber, dass der Einfluss anderer Nationen ihrer eigenen Nation schaden könnte. 24 Prozent von ihnen können sich auf keinen Fall vorstellen, eine Beziehung mit einem Mädchen einer anderen Nationalität zu haben. Das ist alles mehr als besorgniserregend.

derStandard.at: Wie denken die jungen Leute über die EU?

Bozic: Ich sehe hier eigentlich zwei Grundeinstellungen. Ein Teil der Jugend ist sicher stark von rechten Einstellungen geprägt. Aber eine Basis für die Oktoberrevolution war auch, dass es in der Bevölkerung eine starke proeuropäische Stimmung gab. Diese Leute sind jetzt ziemlich enttäuscht. Sie sehen die EU nun eher als manipulierendes Konstrukt, wollen sich nicht mehr unkritisch den politischen Reformen unterwerfen, wollen nicht vom politischen Willen der EU-Obersten abhängig sein. Diese Einstellung ist natürlich auch nicht ungefährlich.

derStandard.at: Welche Reaktionen auf den Abbruch des Stabilisations- und Assoziierungsabkommens haben Sie beobachtet?

Bozic: Mein Eindruck ist, dass die jungen Leute prinzipiell von der serbischen Politik in diesem Zusammenhang enttäuscht sind. Allgemein habe ich aber den Eindruck, dass gar nicht so wahrgenommen wird, aus welchem Grund die EU sich von Serbien entfernt. Natürlich ist ein Grund, dass Mladic noch nicht an Den Haag ausgeliefert wurde, aber die Jungen wollen nicht akzeptieren, dass sie für etwas bestraft werden, das die Regierung nicht zustande bringt.

Sie empfinden das als äußerst unfair und können nicht begreifen, wie das zu den von der EU postulierten Idealen wie Gerechtigkeit und Menschenrechten passt. Sie sehen nur, dass die Wahrung ihrer eigenen Rechte an - in ihren Augen - unfaire Anforderungen geknüpft wird.

derStandard.at: Sie rufen in Ihrer Kampagne dazu auf, Soundclips mit den Worten "Not60 Euros" in den unterschiedlichsten Sprachen zu schicken. Wie groß ist der Rücklauf bis jetzt?

Bozic: Es wurden schon etwas über 100 Clips in 15 verschiedenen Sprachen eingeschickt. Der gesamte Dance Tune aus den Clip sollte etwa zum Exit Festival fertig sein und auch bald von allen Clubs and DJ gespielt werden. Das Festival unterstützt unsere Kampagne zur Visa-Liberalisierung intensiv, wir müssen die Kampagne allerdings jetzt an die neue Situation anpassen. Die EU hat ja mittlerweile etwas eingelenkt und Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro und Albanien bis 1. Jänner 2008 Zeit eingeräumt, Abkommen über Visa-Erleichterungen zu verhandeln. Das begrüßen wir natürlich. Trotzdem machen wir den Song, denn alleine die Androhung der Erhöhungen zeigt, dass Frattini nichts an einer Liberalisierung des Visa-Regimes liegt.