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Der Zwang sich aus Angst vor Keimen ständig die Hände zu waschen gehört zu den häufigsten Zwangsstörungen

Foto: apa/dpa/Patrick Pleul
Nochmaliges Umkehren am Morgen aus Unsicherheit ob die Wohnungstür auch wirklich zugesperrt ist - solche alltäglichen Situationen sind niemandem unbekannt und sie haben in der Regel auch nichts zu bedeuten. Wenn Handlungen wie Waschen, Putzen oder Ordnen aber pathologisch werden und das Leben extrem einschränken, spricht man von Zwangsstörungen.

Betroffene

"Man kann die Zahl der in Österreich Betroffenen mit zwei bis zweieinhalb Prozent abschätzen, auch weltweit liegt die Lebenszeitprävalenz in diesem Bereich", weiß Martin Aigner von der Universitätsklinik für Psychiatrie in Wien. Die Lebenszeitprävalenz gibt an, wie viele Menschen im Laufe ihres Lebens schon einmal von einer Zwangsstörung betroffen waren. "Unter den Betroffenen sind unmerklich mehr Männer als Frauen und das erstmalige Auftreten liegt vorwiegend in jungen Jahren, die Sexualität spielt da sehr mit hinein", weiß der Wiener Psychiater Hans Georg Zapotoczky aus Erfahrung. Händewaschzwänge oder Putzzwänge seien auch nicht häufiger bei Frauen anzutreffen als bei Männern.

Zwangsstörung versus zwanghafte Persönlichkeit

Wichtig ist die Abgrenzung der Zwangsstörung von der zwanghaften Persönlichkeit. Der Unterschied: Menschen mit einer zwanghaften Persönlichkeit erleben ihre Kontrollhandlungen, ihre übertriebene Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit als zu sich gehörig und richtig. Deren Ausmaß erreicht nicht jenes einer Zwangsstörung und das Umfeld leidet meist mehr darunter als der Betroffene selbst. Betroffene können oft auch nicht verstehen, warum andere Menschen nicht ebenso handeln wie sie. Menschen mit einer Zwangsstörung leiden hingegen unter ihren Gedanken und Handlungen.

Unterschied Handlungen - Gedanken

"Prinzipiell treten Zwangsstörungen meist in Kombination auf - die häufigsten sind jedoch Wasch-, Kontroll-, Ordnungs- und Zählzwänge aber auch Zwangsgedanken treten häufig auf", weiß Aigner. Grundsätzlich unterscheidet man bei den Zwängen zwischen Handlungen und Gedanken.

Zwangsgedanken sind Ideen, Vorstellungen oder Impulse, die als quälend empfunden werden. Sie haben oft aggressive, sexuelle oder auch religionsassoziierte, blasphemische Inhalte. Beispiel für einen gewalttätigen Zwangsgedanken: "Ich werde meinem Kind etwas antun". Als Konsequenz wird der Betroffenen nicht mehr mit seinem Kind allein sein wollen. Auch wenn die Impulse als besonders stark empfunden werden, werden sie aber niemals ausgeführt. Besonders häufig sind auch Befürchtungen, sich infiziert oder beschmutzt, andere verletzt oder wichtige Handlungen vergessen zu haben.

Die Rolle der Angst

Bedeutend bei den Zwangsstörungen ist das Gefühl der Angst. Die Gedanken sind meist angst-induzierend, die Handlungen hingegen angst-reduzierend. "Wenn zum Beispiel ein Patient mit Waschzwang jemandem die Hand geben muss, oder wenn er etwas angreift, das bei ihm Ekel hervorruft, muss er sich die Hand waschen und das reduziert dann das unangenehme Gefühl", erklärt Aigner. Zwangsgedanken flößen den Betroffenen im Unterschied dazu Angst ein.

Was ist harmlos, was nicht mehr

Die Grenze zwischen harmlos und pathologisch ist bei Zwängen schwierig zu ziehen: "Wenn man auf den Tag verteilt unter einer Stunde Zwangshandlungen beziehungsweise -gedanken hat, kann man davon ausgehen, dass das kaum klinisch beeinträchtigend ist, es ist noch in den Tagesablauf integrierbar", so Aigner. Das solle noch nicht pathologisiert werden, weil unter gewissem Stress jeder Mensch dazu neige, harmlose Zwangshandlungen auszuführen. "Wirft man im Stress die Autotür zu und geht zurück um nachzuschauen, ob das Auto auch wirklich zu ist, ist das auch eine Kontrollhandlung, die nicht wirklich notwendig ist, die aber beruhigt. Im Unterschied dazu muss ein Zwangspatient mehrmals zurückgehen."

Die Rolle der Rituale

Ein weiterer Hinweis für ernstzunehmende Zwänge, sind Rituale. Zwangspatienten müssen in einer bestimmten Art und Weise kontrollieren. Wenn sie dabei gestört werden, müssen sie nochmals von vorne beginnen. Aigner deutet das als "sehr starken Hinweis", dass tatsächlich ein Zwang vorliegt. Bedenklich sei es auch, wenn der Zwang mit magischem oder abergläubischem Denken verbunden sei. Ein Beispiel Aigners dafür: "Wenn jemand nicht mehr so ganz sicher ist, ob die Nicht-Ausführung einer Handlung nicht doch eine schreckliche Katastrophe bedeuten könnte." Jemand befürchtet beispielsweise, wenn er seine Wohnung nicht jeden Tag putzt, passiert ein entsetzliches Unglück. Dies sei aber abzugrenzen vom Wahn - jemand, der darunter leide, sei sich negativer Folgen ganz sicher, wenn er die Handlung nicht macht.

Kombinationen

Oft leiden Zwangspatienten nicht nur unter einer Zwangsstörung, sondern haben auch häufig Depressionen oder Angst- und Persönlichkeitsstörungen oder Ticks. "Ein Tick ist ein Minizwang, wenn man so möchte. Man hat zum Beispiel das Gefühl einer unangenehmen sensorischen Empfindung im Rachen und räuspert sich immer", erklärt Aigner. Patienten mit Ticks haben häufiger Zwangsstörungen und umgekehrt.

Die Ursachen

Heute weiß man aufgrund der Krankheitsbilder, dass für Zwangsstörungen sowohl biologische, als auch soziale und psychologische Faktoren verantwortlich sind. "Man hat gesehen, dass bei der Zwangsstörung im Gehirn Regelkreise überaktiv sind und es dadurch schwierig ist, ein Verhalten zu verändern", erklärt Aigner. Auch Erbfaktoren könnten eine Rolle spielen.

Bei einem Teil der Patienten beginnt die Störung relativ abrupt in der Kindheit. "Das hat man auch immer wieder mit bakteriellen Infekten in Zusammenhang gebracht", weiß Aigner. Aber nur bei 10 Prozent aller Zwangspatienten ist dies der Fall. Ebenfalls großen Einfluss habe die Lebensgeschichte, wo oft Erziehungsstile oder traumatische Erfahrungen eine Rolle spielten. Am häufigsten wird eine Kombination mehrerer Faktoren als Ursache für die Zwangsstörung gesehen.