ÖVP-Sozialpolitiker Walter Tancsits will eine "Grundabsicherung im Arbeitsleben"schaffen, die auch freien Mitarbeitern soziale Mindesstandards sichert.

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Pensionsreform wird es in der nächsten Legislaturperiode keine mehr geben, sagt der Sozialsprecher der ÖVP, Walter Tancsits im Gespräch mit Conrad Seidl. Er sieht als nächste politische Aufgabe die soziale Absicherung für Jobhopper und Werkvertragsnehmer.

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STANDARD: Die ÖVP hat in den letzten Jahren eine Reihe von Reformen im Sozialbereich gemacht, mit der Folge, dass sie als die Sozialabbau-Partei dasteht. Für Sie wird das wohl kein angenehmer Wahlkampf?

Tancsits: Ich habe da keine Angst: Ich kann direkt ehemalige SPÖ-Wähler ansprechen und sagen, dass wir die erste Adresse für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sind. Es ergibt sich aus zwei Dingen: Aus den Fakten, was sich im Sozialpolitischen getan hat, und aus dem Abtreten der SPÖ in diesen Fragen. Das Einzige, was sie uns voraushat, ist das schönere Sprechen über Soziales, aber da mag ich nicht konkurrieren.

STANDARD: Das Faktum, dass viele Österreicher die Pensionsreformen als subjektive Verschlechterung erleben, blenden Sie damit einfach aus?

Tancsits: Natürlich haben wir hier zu kämpfen mit den Fehlberichterstattungen und mit den Anschuldigungen auch einer Arbeiterkammer, die ihre Aufgabe nicht erfüllt hat, sondern die parteipolitische Werbung macht. Weil hier nicht gesagt wird, dass derjenige, der länger arbeitet, und das ist das primäre Ziel, nicht weniger Pension kriegt, sondern speziell in niedrigeren Lohnbereichen mehr. Aus heutiger Sicht ist die Pensionsreform kein Thema mehr, sie ist positiv angenommen worden. Wer es nicht glaubt, muss den Blick nur nach Deutschland wenden, wo man über Jahre die Augen zugemacht hat - und jetzt werden Strafabschläge und ein Pensionsalter von 67 diskutiert ...

STANDARD: Wir bleiben beim Regelpensionsalter...

Tancsits: ... von 65 Jahren. Man kann den Leuten auch nicht ständig irgendetwas anderes als Ziel vorgeben. Die Pensionsreform ist abgeschlossen. Wir haben etwas anderes vor: Unser nächstes Ziel ist eine Reform des Arbeitsrechts, da brauchen wir Mindeststandards.

STANDARD: Schon den Begriff "Reform" empfinden viele als Drohung - und dass "Mindeststandards" eingeführt werden sollen, lässt die Befürchtung aufkommen, dass die Arbeitgeberseite die für viele Arbeitnehmer gültigen Standards auf ein Minimum reduzieren will.

Tancsits: Zurzeit ist es so, dass für einige Arbeitnehmer überhaupt keine Standards der sozialen Sicherheit gelten. Und erinnen Sie sich: Bei der Abfertigung neu war das ähnlich. Früher haben einige wenige eine Abfertigung bekommen. Etwa vier Prozent aller Arbeitnehmer sind tatsächlich zum Höchstausmaß gekommen - und jene, die unter schwierigen Bedingungen mit wechselnden Dienstverhältnissen und in Saisonarbeit tätig waren, haben gar nichts bekommen. Da sind überhaupt niemandem alte Rechte genommen worden, aber es sind jetzt schon 1,5 Millionen Österreicher im neuen System, und sie sind zufrieden damit.

STANDARD: Einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff mit fairen Bedingungen für Arbeitnehmer in flexiblen Beschäftigungsverhältnissen will auch der ÖGB -aber die Wirtschaftskammer ist dagegen ...

Tancsits: Ich denke, beim Arbeitsrecht muss die Politik die in den letzten Jahren eingeschlagene Linie - progressiver zu sein als die Sozialpartner - fortsetzen. Da gibt es ja Berufsgruppen, die gibt es gar nicht mehr - nur noch die Funktionäre. Andere haben gar keine Vertretung - weil es keine Kammer der Jobhopper gibt. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Ich kann entweder sagen, ich schaffe eine Kammer für geringfügig Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen, oder ich sage: Die Kammern machen diese Zuständigkeit einfach mit. Vor allem ist der ÖGB gefordert - da machen über 50-jährige Männer in sicheren Beschäftigungsverhältnissen Politik für über 50-jährige Männer in sicheren Beschäftigungsverhältnissen; und diese Strukturdiskussionen sind überhaupt nur mehr historische Schauspiele.

STANDARD: Was ist das politische Angebot an Menschen, die in schlecht abgesicherten Verhältnissen leben und arbeiten?

Tancsits: Eine Grundabsicherung im Arbeitsleben. Wir müssen das einheitliche Pensionsrecht mit einem zumindest in den Grundzügen einheitlichen Arbeitsrecht unterfüttern. Konzepte für Zeitwertkonten, Ausbildungszeiten, eventuell auch Überbrückungspensionen gibt es ja seit den Siebzigerjahren - sie sind nur in den letzten Jahren zu wenig diskutiert worden. Vor allem aber müssen wir die Arbeitslosenversicherung um eine Versicherung gegen Erwerbsausfall ergänzen, die die vielen Werkvertragsnehmer erfasst. Diesen Leuten muss man eine Grundsicherung anbieten. Und die Möglichkeit einer Beschäftigung auch in Zeiten, wo ich Auslastungsschwankungen habe.

Weil ich vorhin kritisch gegenüber den Sozialpartnern insgesamt war, möchte ich positiv hervorheben, was im Baubereich geschehen ist. Da ist es tatsächlich gelungen, die Saison zu verlängern durch eine Fülle von Maßnahmen, wie Schulungen in der Übergangszeit, etwa um Innenausbau zu lernen und zu planen. (DER STANDARD, Printausgabe, 02.06. 2006)