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las vegas hatte bereits die letzte hochkultur in einem eventhotel verbraten und die klientel ging nur mehr gelangweilten blicks durch die replikanischen sensationen und, unter uns gesagt, in ischgl kam man auch nicht mehr richtig weiter, als ein slowenischer schlosser, der lange zeit in einem altösterreichischen hotel als hausmeister gearbeitete hatte, das hotel "zum tropfenden wasserhahn" erfand.

er lag mit seiner spekulation richtig, aber nicht nur das. der trend zu innerlichkeit, stille und kontemplation war wiedereinmal wie ein wirbelsturm losgebrochen, aber, was verständlich ist, die leute konnten mit der stille nicht wirklich etwas anfangen. was lag näher, als ein substantielles element des hotelgewerbes neu zu aktivieren und das war eben der wassertropfen beziehungsweise der tropfende wasserhahn. man muß nicht wissenschaftlich gebildet sein, um zu verstehen, dass der fallende tropfen nicht immer den gleichen ton erzeugt.

das hängt nicht nur von der größe des tropfens ab, die sich je nach konsistenz des wassers, der oberflächenspannung, des luftdruckes (der absoluten seehöhe), der auslauföffnung und noch vieler anderer faktoren ändert, sondern auch von der fallhöhe und vor allem von der beschaffenheit des körpers, der vibrationsfähigkeit und des widerstandes jenes klangkörpers auf den der tropfen auffällt, also von den akustischen bedingungen des ganzen falles im doppelten sinn des wortes: ob blech- oder porzellanmuschel, ob steingut oder steinzeug, ob waschbecken, kasserolle, lavoir, spülkasten oder badewanne, ob in einem kleinen oder großen raum, ob mit dicken vorhängen oder modern, ob in altem gemäuer oder zeitgemäßen holzkisten.

ich weiß, alle musiker spitzen bereits die ohren und da haben sie völlig recht. also ein gut geführtes, im alten stile und mit alter haustechnik geführtes hotel, ist ein gigantisches, orchestrales musikinstrument, in dem man nicht nur wochenlange seminare, höchst komplizierte versuche durchführen, sondern auch den gelangweilten gast zu höchstleistungen musikalischer wahrnehmung anspornen kann. keine frage, es wären auch interessante kompositionsaufträge zu vergeben, denn mit dem ländlichen angebot von tröpferlpolka bis zur tropfenserenade wollen wir ja nicht reden. man muß schon an die möglichkeit der konzeption und durchführung von außerordentlichen kompositionen und deren elektronische übertragung in alle zimmer oder gesellschaftsräume denken, an komplexe organisation des tonmaterials, wenn man die erfindung in ihrer kaum vorstellbaren breiten- und tiefenwirkung sich ausmalen will.

in einem punkt hatte sich der schlosser jedoch geirrt: die perfektion des systems war auch sein ende. früher, sagten die ersten gäste mit glänzenden augen, konnte man noch das abhören der tropfenmelodien als vorwand benutzen um in fremde zimmer zu kommen. man konnte öfters die frage hören: und wie tropft es bei ihnen? mit der perfektionierung des systems bleibt nur mehr der kollektive kunstgenuß. und das ist auf die dauer etwas wenig, hört man hin-und wieder klagen. (Friedrich Achleitner/ DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.6.2006)