Wien - Wenn sich ein Neandertaler das nackte Hinterteil am Heizstrahler wärmt, dann entsteht ein herzhaftes Bild. Man gönnt es dem Ahnen so sehr! Er, der sich in gesäßkalten Vorzeiten nur notdürftig mit rauen Fasern bedecken konnte, lüpft am Theater das rückwärtige Kunststoffpelzchen und sonnt sich den blanken Po kreisend im Rotlicht der kleinen glühenden Drähte. Die Höhlen seiner Zeit hatten noch keine Steckdosen. Forced Entertainment nimmt sich der Problematik an.

Die legendäre Theatergruppe aus Nordengland hat seit den 80er-Jahren, als sie sich unter ihrem Regisseur Tim Etchells als Nummer-sicher-Gut in den europäischen Festivalbetrieb einschleusten, einen famosen Ruf zu verteidigen. Er verdankt sich dem Spielgeist eines halben Dutzends nimmermüder Charakterköpfe, die in circensischen Performances ergreifende Momente an der Oberfläche feiern.


Großes Dazwischen

Bei den Wiener Festwochen sind sie wie automatisch mit dabei. Doch die Kraft lässt nach, und The World in Pictures, die noch heute und morgen, Sonntag, in der Halle G im Museumsquartier zu sehen ist, gleicht einem öden szenischen Setzkasten, der einmal ein wilder Wald war.

Bloody Mess erzählte vor zwei Jahren von Anfang und Ende der Welt, The World in Pictures berichtet jetzt vom großen Dazwischen, wenn man so will: von der Menschheitsgeschichte. Tim Etchells inszeniert das Unterstufen-Geschichtsbuch: Römer und Griechen in Leintüchern, Troubadoure und Burgfräulein, Voltaire, die Roten Khmer und Star Wars. Und weil den "Entertainment"-Arbeiten die Bedingungen des eigenen Schaffens stets eingeschrieben stehen, geschieht dies in loser Linearität, in offenherziger Simultaneität:

Dass in der Kleopatra, die mit dem Akkubohrer fest entschlossen eine Naturtapete fixiert, schon das Wikingerfräulein der nächsten Jahrhunderte steckt, ist noch im Sinne des göttlichen Erfinders. Aber es kann auch sein, dass ein übrig gebliebener Höhlenmensch im Klappstuhl zu Zeiten der Industrialisierung Platz nimmt und in 70er-Musik versinkt.

Zu den wenigen guten, und das meint in diesem Fall auch: überraschenden Bildern zählte ein Garderobenständer als Scheiterhaufen, dessen gleißende Flammen für Sekundenbruchteile als rote Lamettastreifen auffuhren. Die am Mikrofon durch den weltgeschichtlichen Zeitraffer geleitende Moderatorin ergänzt noch rasch: "We need women burning!"

Theater als ein die eigene Kläglichkeit miteinbekennendes Monument. Nur war diesmal rein gar nichts dahinter. Man könnte sagen: We need theatres burning. (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.6.2006)