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Togo ist eines der kleinsten und eines der ärmsten Länder Afrikas.

EPA/NIC BOTHMA
Goodbye Ghana, Bienvenu au Togo - zwei Gebäude mit funktioneller Fassade, zwischen ihnen eine Menschenmenge mit Leiterwägen, geschulterten Körben oder Leinensäcken auf dem Kopf. Nein, kein Flüchtlingsstrom, sondern der reguläre Grenzverkehr an einer Grenze in Westafrika, die für viele gar keine sein müsste. "Wir sprechen die gleiche Sprache", erklärt Laurings, ein Togolese, der auf der ghanaischen Seite wohnt, "ob in Ghana, Togo oder Benin, im Süden sind wir ja alle Ewe."

Mehrere Millionen Ewe leben an der westafrikanischen Atlantikküste. "Ich unterhalte einen Schlafplatz in Ghana, denn dort ist momentan alles billiger", erklärt Laurings, "alle meine Freunde machen das so. Wir müssen schauen, dass wir bis 22 Uhr auf die richtige Seite wechseln, um diese Zeit schließt der Grenzposten." Auf der ghanaischen Seite befindet sich der Grenzort Aflao, in Togo ist man nach wenigen Minuten Fußmarsch in der Hauptstadt Lomé, bekannt für ihren wilden Stadtstrand und ihr weit verzweigtes Marktgebiet.

Togo hatte, bevor die Franzosen das Land 1960 in die Unabhängigkeit entließen, dreißig Jahre deutsche "Schutzgebietsverwaltung" (1884-1914) hinter sich, seitdem verfolgt auch die Togolesen der Ruf der Ordnungsliebe. Zur Zeit stagniert das Land. Die Eyadéma-Diktatur setzt sich gegenwärtig in die zweite Generation fort, und Laurings fürchtet, diese Entwicklung werfe Togo noch weiter zurück: "Politisch läuft hier immer alles falsch. Schon die Franzosen haben nur das Land geplündert. Außer der Baguette wurde nichts Nennenswertes hinterlassen, nur Chaos."

Fundgrube für Voodoo-Fans

Sehr unchaotisch wirkt Lomés Fetischmarkt, eine Fundgrube für Praktiker des Voodoo: Holzpuppen aller Art, Soldaten und Fruchtbarkeitsgöttinnen, und für jede Krankheit und für jeden weißen oder schwarzen Zauber findet sich der geeignete Tierkadaver. Ausgestopfte Köpfe von Babyleoparden und Babylöwen, intakte Kleinkrokodile, hohle Schädel von Lemurenäffchen, wie Menschen in Kleinformat, und jede Menge halb eingetrockneter Vögel, eine Menagerie des Todes, hübsch in Reihen geschlichtet.

Eine andere Togoer Spezialität sind die Mofapiloten, die Passagiere bis an die Ränder Lomés bringen, wo die Teakbaumpflanzungen, Ölpalmwälder und Maniokfelder beginnen, Letztere sind Basis des Nationalgerichts Fufu.

Die Sprache der Ewe klingt artikulierter und schärfer als das melodiöse Haussa. Ihre Poesie liegt im Inhaltlichen. "Gele wo si", wünscht man einem Niesenden Gesundheit, wörtlich "Du bist deinen Feinden entwischt". Der Gedankengang: Ein Übelmeinender hat versucht, dich zu ersticken. Doch durch dein Niesen bist du noch einmal davongekommen, hast dich entwunden.

Togo kämpft gegen das HI-Virus, die Bevölkerung wird auf Plakaten an die drei Grundpfeiler bürgerlicher Rechtschaffenheit erinnert: "Abstinence, Fidelité, Condom." Eine andere Kampagne zeigt einen Rasta-Man und die Aufschrift: "Hätten Sie gerne, dass dieser Mann mit Ihrer kleinen Tochter schläft? Nein? Wieso schlafen dann eigentlich Sie mit Ihrer klein Tochter?"

Rigidität und Frohsinn

Eine Mischung aus Rigidität und Frohsinn charakterisiert die schmerzhaft bunte Region - doch je farbenfroher, desto komplizierter der Blick hinter die Fassade. Den kurzen Küstenstreifen Togos entlang in Richtung Osten: Am Straßenrand steigt die Anzahl von Ginflaschen und dickbauchigen Krügen mit dunkelgelber Flüssigkeit - diese kleinen Verkaufsstände sind Tankstellen, sie bieten nicht Alkohol an, sondern Benzin.

Es kommt illegal aus Nigeria, wo Ölpipelines undicht gemacht und angezapft werden. Bald erreicht man den nächsten Zollbereich: Au revoir Togo, Bienvenu au Bénin. Auch hier eine quirlige Grenze, wo sich im Niemandsland ein Obst- und Gemüsemarkt etabliert hat. Benins Mofapiloten mit den gelben Überwürfen halten nach Kundschaft Ausschau, es ist nicht allzu weit bis zur Hauptstadt Cotonou (700.000 Einwohner). Benin ist ein junger Staat auf dem Boden des alten Königreichs Dahomey. Hier sind sogar die Schmisse sympathisch - die auf die Gesichtshaut tätowierten Stammeszeichen werden den Kindern im Alter von drei Monaten zugefügt. Ursprünglich sollten sie vor dem Zugriff der Sklavenjäger schützen, denn ein Mensch mit Gesichtsnarbe war für europäische Begriffe entwertet. Heute erwächst daraus ein eigenes Selbstbewusstsein.

Weltzentrum des Voodoo-Kults

Benin ist das Weltzentrum des Voodoo-Kults, einer notorisch missverstandenen Religion. Ausgewanderte Ewe-Sklaven hatten ihre Praktiken in Haiti und Süd-amerika erfektioniert, nach ihrer Rückkehr vermischte sich ihre Zauberkraft mit dem lokalen Animismus. Voodoo bedeutet für die Ewe jedoch keineswegs das Durchstechen von Puppen mit rostigen Nägeln, sondern eine Lebensform, die auf einem Tanzkanon beruht, der die Tanzenden, meist Frauen, in Trance bringt.

Voodoo hält seine wenigen Lehrsätze biegsam. Der hemdsärmelige Synkretismus stellt Jesus von Nazareth, Maria, Mohammed und sämtliche Heilige ganz offiziell neben die traditionellen Gottheiten und Hilfsgötter. Dem Animisten können sie im Leben jederzeit beispringen: aus christlicher Kolonialsicht eine katastrophale Auffassung.

Beeindruckend schildert Annette Bokpê in ihrem Buch ("Der Kuss des Voodoo") einige Episoden schwarzer Magie. Die Ostdeutsche heiratete einen Berliner Taxifahrer Beniner Herkunft. Die beiden bauten ein Taxiunternehmen auf und hegten Handelsintentionen zwischen Europa und Afrika. Auf Reisen in die Hauptstadt Cotonou und nach Ouidah, dort, wo die größten Voodoo-Festivals der Region stattzufinden pflegen, fand ihr skeptischer Mann mit ihrer Hilfe Zugang zu seiner Vergangenheit und seinem blaublütigen Stammbaum. Letztlich wurde Frau Bokpê als erste Deutsche zur Prinzessin des Beniner Kleinkönigreichs Allada gekrönt - eine außergewöhnliche Karriere. Außergewöhnlich ist auch Ganvié, die größte Pfahlbausiedlung Afrikas an den Sumpfwäldern im Nokoué-See. Die Häuser stehen auf Holzstangen in der Lagune, gruppiert um einen schwimmenden Markt. Die Einwohner Ganviés leben von Fischzucht, durch die Flachwasserbecken ziehen sie Großnetze. Hier floriert das Tauschgeschäft: Fische gegen Süßwasser, Maniok oder verarbeitete Produkte.

Die Frauen vom Festland, oft Mutter und Tochter, transportieren in Zweierkanus ihre Waren über den untiefen See. Neben Rundkopfrudern dienen UNESCO-Säcke als Segel. Seit sich Boote mit ausländischen Besuchern dazwischenmischen, herrscht unter den größtenteils muslimischen Frauen Unmut über motorisierte Kleinschiffe, aus denen sich ihnen dutzende Objektive entgegenstrecken: Bilderverbot.

Ganvié wird in einem Akt übertriebener Selbstdarstellung als "Venedig Westafrikas" vermarktet, und die Souvenirläden, auf windschiefen Pfahlstelzen ins Wasser gebaut, tragen Namen wie "Maison de la Francophonie". Solche Benennungen sind die fast rührenden Relikte einer Zeit, als Europa an ein erziehbares, formbares, letztlich europäisches Westafrika glaubte. Die Kinder sehen Besuch aus aller Welt inzwischen recht pragmatisch: Sie sind in Gruppen per Holzboot unterwegs, spielen Piraten und verlangen nach "cadeau" und "Bic". (Der Standard/rondo/9/6/2006)