Cover: Süddeutsche Discothek
Kaum sind die Achtundsechziger aus ihren Ämtern gedrängt, dürfen die Fünfzigerjahre zu ihrem Recht kommen: Sie waren ja gar kein miefiges Altnazi-Jahrzehnt, wie die Achtundsechziger es uns weismachten; im Gegenteil, es zogen Liberalismus und Demokratie in Deutschland ein und die offene Gesellschaft, wie Karl Popper sie sich ausgedacht hatte - auch wenn wir sie in Wirklichkeit nicht aus Poppers Büchern, sondern von den Amerikanern hatten.

Während wir diesen in ihren Rosinenbombern jetzt vor den Fernsehern erneut zujubeln, sausen uns ganz andere, reale Flugzeuge über die Köpfe - die der CIA, statt Rosinen haben sie Männer in Ketten an Bord, Gefangene, für die es keinerlei Rechte gibt. Ist doch alles Unfug, das Gerede von offener Gesellschaft und Freiheit, daran erinnert uns Solomon Burke, die dicke Soul-Kanone, im Jahr 2002: "None of us are free", singt er da, keiner von uns ist frei, "if one of us is chained", solange auch nur einer in Ketten ist: Klingt dramatisch und ulkig aus der Zeit gefallen - doch bald schon wurden jene Ketten sichtbar, von denen Burke redet, zusammen mit den orangefarbenen Anzügen von Guantánamo.

Burke meint: Freiheit muss immer als die eines Kollektivs gedacht werden. Anders als in den Achtzigern angenommen, ist die Freiheit des Einzelnen zweitrangig. Zweitens: Dieses Kollektiv wird in den Schmutz gezogen, sobald auch bloß an seinen Rändern, in den Grauzonen des Rechtsstaats, Menschen sich immer noch in Finsternis befinden: "people still in darkness". Er meint damit: Orte inmitten unserer offenen Gesellschaft, an die Aufklärung und Menschenrechte dennoch nicht drangen, finster wie ein CIA-Flieger über den Wolken, wo die Freiheit ja gar nicht grenzenlos ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2006)