Bild nicht mehr verfügbar.

Cindy Sheehan, "Peace Mom"

Foto: APA/Artinger
STANDARD: Im August wollen Sie wieder ein Camp vor der Ranch von Präsident Bush in Texas aufschlagen. Wie hat Ihre fünf Wochen dauernde Belagerung im vergangenen Jahr die amerikanische Öffentlichkeit verändert?

Sheehan: Dramatisch. Als wir am 5. August unser Camp begannen, waren nur 51 Prozent der Amerikaner gegen den Irakkrieg und wollten die Truppen zurück nach Hause haben. Jetzt sind es 67 bis 70 Prozent. Dieses Camp hat in Amerika eine Debatte ausgelöst, die es vorher nicht gab. Endlich forderte jemand den Präsidenten heraus und stellte ihm Fragen, die eigentlich der Kongress und die Medien hätten stellen sollen. Es war ein Schub für die Leute, die plötzlich für den Frieden auf die Straße gingen.

STANDARD: Seither ist es ein bisschen ruhiger um die Antikriegsbewegung geworden.

Sheehan: Nein, nicht wirklich. Wir haben vor Kurzem in New York 400.000 Menschen auf die Beine gebracht. Überall, wo ich hinkomme, sind hunderte von Leuten, die sich früher nie an der Friedensbewegung beteiligt hatten. Nur weil die Mainstream-Medien nicht darüber berichten, heißt es nicht, dass die Bewegung zu Ende ist. Millionen von Menschen arbeiten derzeit in den USA gegen den Krieg im Irak.

STANDARD: Ist es für Sie noch wichtig, Präsident Bush persönlich zu treffen?

Sheehan: Ich glaube nicht. Als ich das erste Mal nach Crawford, Texas, ging, war mein Ziel, ihn zu treffen. Dass er das nicht tat, war der Funke für die Friedensbewegung. Jetzt geht es weltweit um die "Grassroot"-Bewegung, die Zivilgesellschaft, die Veränderungen von unten nach oben bewirkt.

STANDARD: Der Präsident hat vergangenen Mai einige "Irrtümer" eingeräumt. Seine rüde Sprache etwa, die den Aufstand im Irak weiter angeheizt haben könnte.

Sheehan: Das ist der einzige Irrtum, den er begangen hat, so sagt er. "Nur her mit ihnen" ("Bring’em on", über die Aufständischen im Irak, Anm.). Es war schon das zweite oder dritte Mal, dass er diesen Irrtum einräumte. Was er jetzt zugeben muss, ist, dass die ganze Invasion und die Besetzung ein Fehler waren. Dass der ganze Krieg ein Verbrechen ist. Das muss er zugeben.

STANDARD: Sie fordern den schnellen Abzug der US-Truppen aus dem Irak, möglichst zum Ende dieses Jahres.

Sheehan: Vorher schon. Je schneller, desto besser. Jeder Tag, den unsere Truppen im Irak sind, kostet mehr Leben. Unsere Soldaten sterben, Zivilisten sterben.

STANDARD: Sie nehmen es Ihrer Regierung und den Sicherheitsexperten nicht ab, die sagen, ein Truppenabzug würde noch mehr Gewalt im Irak schaffen?

Sheehan: Nein, das ist dieselbe Argumentation, die sie benutzt hatten, um den Vietnamkrieg in die Länge zu ziehen. Es ist wirklich nicht so schwer: Die Gewalt im Irak ist das Ergebnis der Besetzung. Es ist ein Aufstand, ein Widerstand gegen die Besetzung. Ist die Besetzung vorbei, ist auch die Gewalt vorbei. Ein wenig wird bleiben, aber die Iraker können das selbst erledigen.

STANDARD: Die Gewalt im Irak richtet sich nicht nur gegen die Koalitionstruppen. Schiiten und Sunniten bekämpfen sich auch.

Sheehan: So ist es auch nicht. Eine Menge Leute sind umgebracht worden, weil sie als Kollaborateure betrachtet wurden. Es gibt diese Gewalt, aber damit müssen die Iraker umgehen. Das ist ein Bürgerkrieg. Die Iraker müssen entscheiden, was für ein Land sie wollen. Ich weiß: Besetzungen sind falsch. Der Krieg ist falsch. Zu denken, die Amerikaner müssen dort sein, um die Probleme der Iraker zu lösen, ist arrogant und rassistisch.

STANDARD: Haben Sie versucht, Ihren Sohn davon abzuhalten, in den Irak zu gehen, als der Einsatzbefehl kam?

Sheehan: Ja. Ich habe versucht, ihm das auszureden. Ich habe ihm gesagt, ich bringe dich nach Kanada, ich fahre mit dem Auto über dein Bein, was auch immer, nur damit er nicht in den Irak geht.

STANDARD: Was hat er gesagt?

Sheehan: Ich will nicht gehen, Mom, aber ich muss. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.6.2006)