Wolfgang Koeppen (1906-1996), 1961

Foto: Felicitas Timpe
Am Freitag vor 100 Jahren wurde der deutsche Autor Wolfgang Koeppen in Greifswald geboren. Mit Romanen wie "Tauben im Gras" oder "Tod in Rom" zählt er zu den wichtigsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Hier zu Lande aber ist er noch immer ein Unbekannter.


Wien – Jene Geschichte Wolfgang Koeppens, mit deren Hauptfigur er sich am ausdrücklichsten identifizierte, war – überraschenderweise – nicht seine eigene: "Ich schrieb die Geschichte eines deutschen Juden. Da wurde es meine Geschichte."

Ein Kleinverlag hatte Aufzeichnungen des Juden Jakob Littner, der die Shoa versteckt in einem Erdloch überlebte, 1948 recht erfolglos publiziert. 1992, für eine weitere Auflage der "Aufzeichnungen aus einem Erdloch", erklärte Koeppen, der Autor des Textes zu sein und gab die Aufzeichnungen unter seinem Namen heraus: Er habe aufgrund weniger Zeilen die Erzählung für Littner erst zu Papier gebracht. Später aber tauchten zwei umfangreiche Manuskripte Littners auf, die Koeppen vorgelegen hatten. Hatte sich hier ein deutscher Gutmensch, Mitglied der Gruppe 47, eine Identität angemaßt, indem er eine fremde Opfergeschichte enteignete?

Armut der Jugend

Wolfgang Koeppen wurde am 23. 6. 1906 in Greifswald (Pommern) geboren. Identität wurde ihm dabei nicht in die Wiege gelegt: Er wuchs als nicht anerkanntes Kind bei seiner allein erziehenden Mutter (Näherin und später Souffleuse) auf, zu arm, um das Gymnasium abzuschließen.

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Er beginnt für Zeitungen zu schreiben und findet Anschluss an das expressionistische Theater. Sein Romandebüt "Eine unglückliche Liebe" (1934) schildert das Scheitern seiner Beziehung zur Schauspielerin Sybille Schloss, die unter anderem im antinazistischen Kabarett "Die Pfeffermühle" von Therese Giehse und Erika Mann mitwirkte.

Klarsicht – Anpassung

Koeppens zweiter Roman, "Die Mauer schwankt" (1935), erscheint wie der erste bei Bruno Cassierer, einem jüdischen Verlag: ein Architekt, die (freilich brüchige) Hauptfigur darin, unterdrückt seine künstlerische Begabung um das Leben der Gemeinnützigkeit zu widmen. Diese Zwiespältigkeit von Klarsicht und Anpassung innerhalb der so genannten "Inneren Emigration" betrifft Koeppen gerade in seiner Außenseiterposition besonders:"Das Grauen kam über die Welt. Ich stellte mich unter, ich machte mich klein (...)." Zu Beginn des Krieges arbeitete Koeppen für die (kriegswichtige) Bavaria-Film-Kunst. Das Kriegsende erlebte er als versteckter Untermieter seiner zukünftigen Frau in einer Souterrainwohnung bei München: ein anderer Jakob Littner?

Wie integer bleiben Menschen in einer Gesellschaft, die durch mangelnden Willen zum Bruch mit ihrer verbrecherischen Vergangenheit durch und durch korrumpiert ist? Diese Frage an die unmittelbare Nachkriegszeit stellt Koeppen in drei Romanen, die ihn berühmt machen: "Die Tauben im Gras" (1951), "Das Treibhaus" (1953) und "Tod in Rom" (1954). Er richtet darin seinen Blick nicht auf nicht auf Personen, deren Identität sich im Widerstand behauptet und schärft, sondern auf ein Panoptikum der Gesellschaft.

Mit dem Vertrauen auf eine individuelle, utopische Moral zerfällt auch die Einheitlichkeit der Form: Vor allem "Tauben im Gras" prägt ein Episodenstil, der selbst die "Hauptfiguren" zu Außenseitern ihrer eigenen Geschichte macht. Die Perspektive springt absatzweise zwischen den Figuren; zum "Scharnier" zwischen den Episoden wird scheinbar Zufälliges, ein Ort, ein Motiv, ein Name.

Gerade dieses Periphere jedoch enthält zuletzt noch so etwas wie ein Sinnversprechen, das indes außer dem Leser niemand mehr entschlüsselt: Familiensilber wird in einem Moment existenzieller Freiheit verschenkt und kehrt zufällig in die Nähe der Schenkenden zurück. Den späteren Romanen der Trilogie fehlt selbst dieses momentane Aufleuchten eines möglichen Lebenssinns zunehmend.

Mangelnde Integrität

Auch den Roman-Künstlerfiguren mangelt Integrität: Die politische Restauration, der ungebrochene Nationalsozialismus ihrer Umgebung bricht sie mehrfach. Der deutsche Schriftsteller in "Tauben in Gras" schreibt nicht und der im "Treibhaus" endet, politisch vereinnahmt, im Selbstmord.

Diese Künstler, auch der Komponist in "Tod im Rom", gestalten keinen beherrschbaren und beherrschten Sinn mehr: Koeppen lässt sie zum Teil die avantgardistischen Prinzipien seines eigenen Schreibens vortragen und dabei vor ihrem Publikum und an ihrer Lebensaufgabe scheitern.

Ein Geruch taucht in den Romanen Wolfgang Koeppens immer wieder auf: der nach "Aufwisch", einer Mischung aus nassem Scheuerlappen und chemischer Desinfektion. Das Grausen vor der deutschen Nachkriegsordentlichkeit durchzieht die Romane bis ins Detail. Nach ihnen verstummte Koeppen und legte erst Jahre später wieder zwei Bücher vor, Reiseberichte.

Reich-Ranicki kritisierte diesen Bruch Koeppens mit einer Identität als Autor großer deutscher Nachkriegsromane als seinen "Fall". Das Grundthema brüchiger Identitäten und das ästhetische Verfahren der Romane wird jedoch in den Reiseberichten variiert: In den Romanen unterlegte Koeppen einzelnen Figuren Mythen, um sie dann durch die modernen Verhältnisse zu brechen. Odysseus etwa trat in "Tauben in Gras" als schwarzer Besatzungssoldat auf, der seine Nausikaa in einer deutschen Prostituierten fand. In "Amerikafahrt" und in "Nach Russland und anderswohin" ist es der touristische Mythos des Bildungsreiseführers, den er ganz ähnlich ironisch bricht.

Trotz der Verleihung des Grazer Nabl-Preises 1987 ist Wolfgang Koeppen hier zu Lande fast unbekannt – im Unterschied zu Deutschland. Woran das liegt? Ein Grund dafür ist, dass sich der schulische und germanistische Kanon – immer noch – an einer "Nationalliteratur" ausrichtet. Vielleicht zeigt der österreichische "Fall Koeppen" aber auch, wie wenig sich die Nation herausfordern lässt in ihrem Umgang mit der Geschichte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.6.2006)