Geschlechterpolitik
"Wir haben es endlich geschafft"
NS-ZwangsarbeiterInnen - Entschädigung: Weitgehende Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen
Washington/Berlin - Mit Erleichterung ist in Deutschland die Nachricht vom Durchbruch bei den Verhandlungen in
Washington über die Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen aufgenommen worden. In der Nacht zum Dienstag hatten der
deutsche Chefverhandler Otto Graf Lambsdorff und sein US-Pendant Stuart Eizenstat eine Einigung über die noch offene
Frage der Rechtssicherheit erzielt. "Wir haben es endlich geschafft", so ein sichtlich erschöpfter Lambsdorff. Die Übereinkunft
soll deutschen Firmen Schutz vor Sammelklagen ehemaliger ZwangsarbeiterInnen bieten.
Danach gibt die US-Regierung eine Erklärung ab, in der sie die Abweisung von Schadenersatzklagen gegen deutsche Firmen
"als in hohem und andauernden Interesse der USA" bezeichnet. US-Unterhändler Eizenstat sagte, dies werde "mit hoher
Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass alle anhängigen und künftigen Klagen abgewiesen werden". Weisungen an die Gerichte
könnten in einem Rechtsstaat aber nicht erteilt werden.
Nach Einschätzung von Lambsdorff und dem von den Unternehmen entsandten Vertreter Manfred Genz, des
Daimler-Chrysler-Finanzvorstandes, werde damit eine "ausreichende Rechtssicherheit" gewährleistet. Die deutsche
Entschädigungsstiftung soll nach dem Willen der Regierungen beider Staaten das "alleinige Mittel und Forum für die Lösung
aller aus dem Zweiten Weltkrieg rührenden Forderungen gegen deutsche Unternehmen" sein.
Erste Auszahlungen
Nach diesem Durchbruch gilt nun als sicher, dass der Bundestag das Stiftungsgesetz wie geplant noch im Juli verabschiedet.
Damit könnten noch in diesem Jahr die ersten Entschädigungen an die rund eine Million Anspruchsberechtigten ausgezahlt
werden. Bereits im März hatten sich Washington und Berlin mit den Opfervertretern auf die Einrichtung eines mit 10 Milliarden
Mark (70 Milliarden Schilling) dotierten Fonds geeinigt. Das Geld soll je zur Hälfte von der deutschen Regierung und von den
Unternehmen aufgebracht werden.
Allerdings wurden auf Unternehmerseite erst drei Milliarden DM (21 Milliarden Schilling) fix zugesagt. Der Chef des Deutschen
Industrie-und Handelstages (DIHT), Hans Peter Stihl, appellierte am Dienstag an die Unternehmen, sich nun zahlreicher an
der Stiftungsinitiative zu beteiligen. Nach der Einigung über die Rechtssicherheit gebe es "genügend überzeugende
Argumente", um sich finanziell zu engagieren. 1200 Firmen haben bisher eine finanzielle Zusage abgegeben.
Die Grünen fordern Sicherheiten der deutschen Industrie, um den noch offenen Fehlbetrag von zwei Milliarden DM (14
Milliarden Schilling) abzudecken. Der grüne Rechtsexperte Volker Beck sagte, ohne feste Zusage der Industrie über die
komplette Summe könne das geplante Entschädigungsgesetz nicht in Kraft treten. Die Wirtschaft müsse das Geld aber nicht
auf dem Konto haben, eine Bürgschaft der Firmen sei ausreichend. Bei der Stiftungsinitiative gibt es nun Überlegungen, eine
Liste jener Firmen zu veröffentlichen, die sich bisher nicht an dem Fonds beteiligt haben.
Der Münchner Opferanwalt Michael Witti, der auch in Österreich aktiv ist, droht trotz dieser Grundsatzvereinbarung deutschen
Unternehmen mit weiteren Klagen in den USA. Es sei der wichtige Aspekt der Arisierung nicht berücksichtigt wurden, so
Witti. Opfer, denen ganze Betriebe und die Verfügung über Konten entzogen wurden, seien durchgefallen. "Die Industrie weiß,
dass es ihr gelungen ist, Milliardenansprüche wegzuverhandeln. Wir werden das nicht akzeptieren", so Witti.
(Alexandra Föderl-Schmid)