Eine Nachdenkpause hat sich der Anti-Missbrauchsverein "die möwe" vor dem Aufkleben der umstrittenen "Love-Doll"-Plakate verordnet. Eine Therapeutin droht im Fall der Affichierung Anzeige an, eine Soziologin empfiehlt die Einschaltung des Werberats.

"Kleine Abtestung eingeschoben"

Die umstrittenen "Love-Doll"-Plakate des gegen Kindesmissbrauch aktiven Vereins die möwe werden nicht wie ursprünglich geplant ab 13. Juli bundesweit aufgeklebt. In Reaktion auf die stark polarisierende Wirkung des Kindersexpuppensujets habe "der Verein eine kleine Abtestung eingeschoben", erläutert Ulrike Döcker, die die möwe in dieser Angelegenheit gegenüber der Presse vertritt.

"Die Plakate werden affichiert."

Wie berichtet, war der Kinderpsychiater Max Friedrich aus Protest gegen die Darstellung von allen möwe-Vereinsfunktionen zurückgetreten. Also werde man jetzt eine "Meinungsumfrage" durchführen, sagt Döcker: "Doch das hat absolut nichts mit Angst zu tun."Fest stehe nämlich: "Die Plakate werden affichiert."

Störung der öffentlichen Ordnung?

In diesem Fall könnte der Werbeaktion sogar eine strafrechtliche Anzeige wegen Störung der öffentlichen Ordnung oder wegen sittlicher Gefährdung drohen. Diesen Schritt will die Wiener Psychotherapeutin Silvia Franke, die auf die Arbeit mit Traumaopfern spezialisiert ist, setzen. Sie befürchtet, dass es bei Kindern und Erwachsenen, denen sexuelle Gewalt angetan wurde, zu einer Retraumatisierung kommen könnte. Außerdem: "Wie soll man denn Kindern das pornografisch bizarre Sujet erklären?"

"young hot sexy Lolitas"

Auf Täter wirkten die Plakate sogar noch erregend, gibt die Psychotherapeutin zu bedenken. Tatsächlich ist die Diskussion über die umstrittene Werbeaktion bereits auf einer einschlägigen deutschen Porno-Internetseite, die mit "young hot sexy Lolitas" wirbt, aufgetaucht.

"Irreführend"

Als klar "irreführend" schätzt auch die Grazer Soziologin und Werbeexpertin Daniela Jauk die möwe-Sujets ein. "Die Puppe ist geschlechtslos. Das widerspricht dem Umstand, dass mehrheitlich Mädchen Missbrauchsopfer sind", meint sie. Von einem kleinen möwe-Logo und wenigen Schriftzeilen abgesehen fehle jede "Erklärung, was dieses Bild soll. Es könnte sich genauso um einen Bestellservice für Sexpuppen handeln". Außerdem: "Der offenen Mund steht für einen Schrei ebenso wie für oralen Sex"- eine manipulative Vieldeutigkeit. "Irreführende Werbemaßnahmen"sollen laut den Selbstbeschränkungsrichtlinien des Werberats vermieden werden. "Ich empfehle dringend die Befassung dieses Organs mit dem Sujet", sagt Jauk.

Wachrütteln und ein Tabu brechen

Möwe-Präsidentin Martina Fasslabend verteidigt gegenüber dem Standard die Kampagne nach wie vor. "Sie soll eben wachrütteln, soll ein Tabu brechen. Man denkt an den Schrei von Edward Munch, das ist auch ein grausliches Bild, aber es rüttelt auf."Den Protestrücktritt Max Friedrichs bedauere sie sehr, hoffe aber noch auf seine Rückkehr. (Irene Brickner, Michael Simoner/DER STANDARD, Printausgabe, 12.7.2006)