"Ich steh in der Früh auf und geh in die Arbeit": der österreichische Bildhauer Walter Pichler. Die Skulpturen und Häuser, an denen er im südburgenländischen St. Martin arbeitet, gehören nur ihm. Hier steht er im in Fertigstellung begriffenen "Haus der zwei Tröge".

Foto: Ute Woltron
St. Martin - Der Mensch kann tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will. Gesegnet die, die wollen können. Walter Pichler (69) ist einer ihrer begnadetsten Vertreter.

Jetzt will er also, dass wir seine Arbeit durch seine Augen betrachten. Welche Erkenntnis wir daraus ziehen, überlässt er freilich uns allein. Denn einerseits stört ihn, "dass alles aufbereitet und den Menschen hinterhergetragen werden muss". Andererseits ist er so unabhängig von unserer Meinung, wie ein Mensch nur sein kann.

"Ich steh in der Früh auf", sagt er, "und geh in die Arbeit. Dann leg ich mich hin, steh wieder auf und geh in die gleiche Arbeit."

Walter Pichler ist Künstler, doch er lebt die Antithese zum gängigen Kunstmarkt. Man kann davon ausgehen, dass ihn das vergnügt. "Ich finde, dass es sehr wichtig ist, auch das noch ein bisschen anders zu machen, als es vorgeschrieben oder gerade Mode ist. Ich finde, dass Kunst anders gehandhabt gehört, wenn sie ihre Wirkungsweise behalten soll. Sonst wird sie Handelsware und man selbst enthebt sich seines aufständischen Potenzials."Er habe die "Fremdartigkeit"stets als etwas Elementares empfunden. Was man tue, könne "gar nicht fremd genug sein, um eine andere Haltung zu demonstrieren und nicht das kommerzielle System zu kopieren".

Zeichnungen: Späne

Pichlers eigentliches Werk, seine Skulpturen und Plastiken, die Häuser, die er im südburgenländischen St. Martin dafür baut, sind unverkäuflich, die gehören nur ihm. Wohlfeil sind lediglich die Skizzen und Grafiken, die er anfertigt, um zum Kern seiner Arbeit vorzudringen, sich dem Wesen des Werkes zu nähern.

Diese feinen, aber kräftigen Zeichnungen sind die Späne, die bei der Arbeit abfallen und gleichzeitig diese Arbeit finanzieren. Und wenn man sie, wie vom Künstler aufgetragen, in seinem Buch Skulptur Architekturbetrachtet, muss man Auge und Hirn frei machen, die Schimären der heutigen bunten Bilderflut verscheuchen, um zu verstehen.

Dann erkennt man, warum diese Bilder aus der heutigen Zeit der Renderings und Computeranimationen zu fallen scheinen: Pichler zeichnet in Axonometrien und nie in Perspektiven. Er zeichnet die Dinge, wie sie sind, und nicht, wie sie erscheinen. Er hat sich selbst - und nicht seine Rezipienten - zum Nullpunkt, zum Koordinatenursprung erklärt, und das gibt ihm die Freiheit, in dem eigenen Gefängnis, in dem jeder Mensch sitzt, daheim zu sein und das zu tun, was er will.

Werkstatt: Zentrum

Während die Kunstwelt also von einer Biennale zur nächsten Ausstellung hetzt, während der Wert von Kunst nach marktdiktierten Geldmaßstäben gemessen wird und die meisten Künstler ihre Produkte eben diesen Märkten andienen und sich damit der Fremdbestimmung unterwerfen, befindet sich Pichler dort, wo er sich am wohlsten fühlt: in seiner Werkstatt.

Sie bildet gewissermaßen das Zentrum des Ensembles aus skulpturbeherbergenden Häusern, das er im vergangenen Vierteljahrhundert rund um ein altes Bauernhaus in St. Martin geschaffen hat. Kurz vor Fertigstellung ist etwa das "Haus für die zwei Tröge", deren Kerne zwei große alte Wasserbecken bilden, die der Künstler vor Jahren im Waldviertel gefunden hat.

Die kreisrunden Monumente aus Granit hat er mit einander überschneidenden Mauerzylindern umfasst und mit einem Glas-Holz-Dach überdeckt, sie sollen künftig über eine komplizierte Skulptur von metallenen Rinnen und Überläufen vom Regenwasser der Dächer gespeist werden.

Das Haus steht exemplarisch für Pichlers Herangehensweise: Jeder Kubikmillimeter ist geplant, durchdacht, macht Sinn - im Großen wie im Kleinen. Die weiß getünchten Zylinder sind so makellos glatt ausgeführt, dass der Mittagsschatten der Dachkante exakte Kegelschnitte auf die Außenflächen wirft und somit Teil des Gesamten wird. Das Rinnensystem ist so fein und ausgeklügelt, dass es von stärkeren und schwächeren Regenschauern unterschiedlich bespült wird. Und wenn ein deftiges Sommergewitter über St. Martin niedergeht, kann Pichler, wenn er Lust dazu hat, die Tröge zum Überlaufen bringen und das gesamte Konstrukt in sternförmigem Wasserspiel innerlich überfluten.

Tempel und Hütte

Es gehe ihm auf die Nerven, sagt er, dass seine Arbeiten in Publikationen stets monumentaler und archaischer ausschauten, als sie tatsächlich seien: "Klar, wenn ich was mache, dann wird es immer irgendwie feierlich und wie ein Tempel. Darum versuche ich die Kombination mit der Holzhütte oder dem Geräteschuppen. Das profanisiert das dann wieder. Aber ich habe nichts gegen Feierlichkeit, und es kann ruhig auch schön sein, das macht mir nichts."

Tatsächlich dockt das Haus für die zwei Tröge am Holzschuppen an, in dem die vier verschiedenen Holzarten fein säuberlich in jeweils einer Ecke gestapelt sind, mit denen Pichler seinen alten Kochherd im Wohnhaus befeuert. Sprisselholz für die Eierspeis, Buchenscheitel für langwierigere Kochprozesse. Der Wasserzulauf zu den Trögen führt durch den Dachstuhl, er ist über eine Leiter zu erreichen. Dort oben, am anderen Ende des Stegs, steht, ebenfalls von einem Glasdach geschützt, die "bewegliche Figur". Lebensgroß, jedes polierte Metallglied bis in die Finger beweglich, die Schädeldecke die eines unbekannten Toten.

Im Kopf, da spielt sich alles ab, die Projektionen, die Synthesen, das Wollen. Die Welt ist meine Vorstellung. In den polierten Schädeldecken aus Messing, die in einem anderen Haus auf Pichlers Anwesen auf einem Holzgerüst quasi aufgebahrt liegen, erkennt der Betrachter plötzlich sein eigenes verzerrtes Spiegelbild.

Walter Pichler geht von Haus zu Haus, er trägt einen Schlüsselbund wie ein Kerkermeister, sperrt Tore auf, rückt Türflügel in den richtigen Winkel. Er betrachtet seine Weihestätten. Draußen zwitschern die Vögel, rattern irgendwo in der Ferne Traktoren. Drinnen ist es still, das Licht wird über geschlitzte Mauerkanten und -ecken indirekt in die Räume gelenkt. Nur die Vögel sollten draußen bleiben, die scheißen auf die Schädel und hinterlassen Ätzflecken im makellosen Messing.

Weitere Behausungen für Plastiken sind geplant: Ein exakt nach der Sonne ausgerichtetes "Haus für die drei Flächen", ein "Haus für den Grat und die Schlucht"und die "Passage"- ein aus gegossenen Betonteilen konstruierter Lichtkäfig, der aus identischen Elementen zusammengesteckt wird.

Er sei, so Pichler, kein Architekt, die Räume müsse er machen, weil sich das zwangsläufig für seine Plastiken so ergebe: "Das Hauptaugenmerk liegt auf den Innenräumen. Außen sollen sie möglichst anständig ausschauen und keinen Wirbel machen. Nur das Haus für die zwei Brunnen, das ist nicht ganz normal. Da haben die Bauern gesagt: Jetzt dreht er durch, der Pichler, jetzt fängt er an zu wirtschaften und baut sich einen Silo."Soll er. Er ist der Chef. In diesen Silos befindet sich halt kein Grünfutter, sondern das Persönlichkeitsuniversum eines der maßgeblichsten Künstler der Gegenwart. (Ute Woltron/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 7. 6. 2006)