Wüstlingsfantasien mit Festspielcharakter: Jörg Immendorf entwarf 1993 nachtschwarze Tuschzeichnungen für Igor Strawinskys „The Rake’s Progress“ – unter Nutzung von Bleistift, Tusche und Collage- Elementen.

Bild: Galerie König/Immendorf
Nachgezeichnet wird diese Tradition ab heute im Museum der Moderne, wo die "Kunst auf der Bühne" inszeniert wird.

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Salzburg - "Les Grandes Spectacles" heißt die Ausstellungstrilogie im Museum der Moderne, die sich im letzten Sommer mit "120 Jahren Kunst und Massenkultur" befasste. Heuer steht mit dem Verhältnis von "Kunst und Bühne" ein etwas elitärerer Austausch auf dem Programm. Und daran wird wohl auch Christoph Schlingensiefs "Hodenpark"nicht viel ändern, der sich dort mit "Mozarts Eiern" ebenfalls auf Elitäres bezieht.

Aufgrund einer "Unpässlichkeit" konnte der Meister des wüsten Spektakels bei der Pressekonferenz leider nicht anwesend sein. Dass sein für Salzburg adaptierter Animatograph erst nächste Woche eröffnet wird, macht aber durchaus Sinn: Soll er doch schließlich das Festspielspektakel einer ganzen Woche inkorporieren, um es dann anschließend wieder auszuspucken.

Die verschiedensten Kunst- und Bühnenvisionen des 20. Jahrhunderts, die bei Schlingensief sicherlich wieder mit vereinten Kräften durchdreht werden, sind in der von Eleonora Louis kuratierten Ausstellung allerdings auch in ihrer originären Form präsent.

Ein opulentes Bühnenbild von 1882 von Max und Gotthold Brückner kontrastiert zu Beginn der chronologisch aufgearbeiteten Entwicklungsgeschichte die Entwürfe von Adolphe Appia, der den "Zaubergarten" von Parsifal 1922 streng reduziert konzipiert. An die Stelle von wild wuchernden Kulissen treten bei ihm diverse Raumelemente wie Treppen oder Ebenen, mit denen er das fein schattierte Bühnenbild strukturiert.

In der Ausstellung markiert Appia gemeinsam mit Edward Gordon Craig, Alfred Roller sowie Isadora Duncan und Loïe Fuller den Anfang aller Reformideen auf der Bühne, die in den 20er-Jahren zunehmend vom alten Ballast "entrümpelt" wurde. Nicht nur von der schwülstigen Ausstattung, sondern auch von Bewegungen, die die großen Bühnen bis dahin beschwerten. Dass sich die Körper in den 20ern eher schwebend über die Bühne bewegten, zeigen die "Bewegungsstudien" von Edward Craig, der die neuen Ausdrucksformen von Isadora Duncan skizzierte, aber auch die Radierungen von Ernst Oppler, die von der Anmut der Anna Pawlowa zeugen.

Futurismus der Wilde

In der Heimat der weltberühmten Ballerina realisierte die Malerin Alexandra Exter etwa zeitgleich ein futuristisches Bühnenbild für Oscar Wildes Salomé, Vladimir Tatlin übernahm konstruktivistische Ansätze, als er ein Gedicht von Chlebnikov in ein Bühnenbild übertrug.

Der Anspruch eines revolutionären Theaters wird im "Totaltheater" von Walter Gropius und Erwin Piscator theoretisch perfektioniert. Um die Zuschauer in das Geschehen miteinzubeziehen, entwickelte Gropius für Piscator ein Modell für eine "Menschenbühne"mit variierbaren Zuschauerrängen, das allerdings wie viele der präsentierten Entwürfe und den ihnen eingeschriebenen Utopien nie realisiert werden sollte. Dass ihre revolutionären Ideen dennoch bis nach Wien vordrangen, verdankt sich vor allem Friedrich Kiesler, der 1924 die Ausstellung "Internationale Theatertechnik" im Konzerthaus konzipierte.

Kiesler präsentierte damals auch einen Großteil der Werke der russischen Avantgarde, die nach der Ausstellung in die Sammlung des Österreichischen Theatermuseums übergingen. Dort werden auch die teilweise höchst bizarren Marionetten des Wiener Grafikers Richard Teschner archiviert, dessen Vorführungen in seiner Wiener Wohnung auch namhafte Secessionisten wie Gustav Klimt, Josef Hoffmann oder Kolo Moser besuchten.

In dem Stockwerk, das zudem Marionetten und Entwürfe von Dubuffet, Kandinsky, El Lissitzky oder Schlemmer versammelt, werden einige der Puppen auch erstmals wieder öffentlich zum Tanzen gebracht. Trotz der durchsichtigen Fäden untergraben aber auch sie den Illusionscharakter, dem in Salzburg sehr spät abgeschworen wurde.

Aufgerollt wird die Geschichte der Salzburger Festspiele im obersten Stock, wo der Austausch zwischen Kunst und Bühne 1955 mit Oskar Kokoschkas Entwürfen für die Zauberflötebeginnt. Mit Gérard Mortier verdichtete sich das Engagement von Künstlern: Robert Longo, Jaume Plensa oder Jörg Immendorff entwarfen in den 90er-Jahren Bühnenbilder, die in der Ausstellung nicht nur eine spannende historische Kontextualisierung, sondern auch eine angemessene Bewertung erfahren. Denn während die Bühnenbilder von Edward Craig schon kurz nach der Jahrhundertwende am Kunstmarkt reüssierten, wurden die Entwürfe von Kokoschka erst für die Ausstellung gerahmt. (Christa Benzer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.7.2006)