Illustration: DER STANDARD/Michaela Köck
Auch etablierte Zeitschriften haben die Vorzüge der virtuellen Begutachtung entdeckt. Das "British Medical Journal" stellte bereits 2003 einen Teil der eingereichten Manuskripte ins Netz. Seit Kurzem bietet auch "Nature" seinen Autoren diese Option an. Wobei bislang nur namentlich gekennzeichnete Kommentare zugelassen sind.

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Wenn es Nacht wird in Europa und an den US-Universitäten der Nachmittagskaffee geschlürft wird, ist transatlantische Streitstunde, berichtet Chris Surridge. Immer wieder erstaunt ist der Open-Access-Aktivist, wie viel Zeit sich hoch beschäftigte Wissenschaftler um die Ohren hauen, um gerade erst als so genannte Preprints abgelegte Aufsätze zu kommentieren: In diesem Blog hochgejubelt, in jenem Diskussionsforum schon wieder verrissen.

Dabei sind Papers auf Preprintservern eigentlich nicht einmal zitierbar, denn sie sind noch nicht begutachtet, werden wahrscheinlich geändert, vielleicht sogar zurückgezogen.

Wissenschaftler sind News-Junkies. Forschung, die gedruckt vorliegt, ist etwas für Studenten und Doktoranden. Wer auf sich hält, liest Vorabdrucke demnächst erscheinender Publikationen, begutachtet Manuskripte und Forschungsanträge von Kollegen oder wählt aus, was auf einer Konferenz vorgetragen werden darf.

Das war schon vor zwanzig Jahren so, das Internet hat den Kommunikationsfluss zunächst nur beschleunigt. Je höher Wissenschaftler in der Hierarchie ihres Fachs stehen, desto mehr kriegen sie zu sehen, bevor es publik wird. Dieser Informationsvorsprung ist das Versprechen, mit dem Fachzeitschriften und Förderorganisationen Gutachter keilen. Honoriert wird der Dienst an der wissenschaftlichen Qualität nämlich in aller Regel nicht.

Eine Ausnahme sind Statistiker, die medizinische Studien auf ihre Signifikanz abklopfen. Und dann gibt es noch die Gutachtertreffen, zu denen die EU lädt. Dem Branchenspott zufolge reisen allerdings eher die nach Brüssel, die die Tagessätze nötig haben, als die es können, das Begutachten.

Keine Chance

Was nicht von mindestens zwei anonymen Fachkollegen für wert befunden ist, hat bei seriösen Zeitschriften oder Förderorganisationen keine Chance. Der Feststellung, dass an der Peer Review kein Weg vorbei führt, wird immer öfter ein aber angefügt: Aber das Verfahren sichert die Dominanz des Establishments. Aber wirklich innovative Ansätze haben kaum eine Chance. Aber die Prozedur ist schwerfällig und nicht transparent. An diesem Punkt kommen Leute wie Chris Surridge ins Spiel.

Open Access, also der kostenfreie Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Internet, habe eine überfällige Reform der Peer Review ausgelöst, argumentiert der Mitarbeiter der "Public Library of Science"(PLOS), einer gemeinnützigen Organisation, die von San Francisco und dem englischen Cambridge aus eine Reihe von Onlinezeitschriften betreibt. Da es keine zahlenden Abonnenten gibt, wird der Betrieb durch Gebühren von derzeit 1500 Dollar pro Publikation finanziert, die zum guten Teil in die Abwicklung der Begutachtung fließen.

Das bislang ehrgeizigste Verfahren soll in drei Monaten mit "PLOS one"aus der Taufe gehoben werden, so Surridge vergangene Woche beim Euroscience Open Forum in München. Für diese interdisziplinäre Plattform werde jeder eingereichte Beitrag zunächst geprüft, ob er gut genug ist, online gestellt zu werden.

Während Experten aus allen betroffenen Fachgebieten ihre Gutachten verfassen, könne die gesamte wissenschaftliche Community den Entwurf kommentieren, worauf wiederum die Autoren zu Wort kommen. Die gesamte Diskussion fließe dann in die abschließende Version ein. Dabei winkt Kommentatoren, die sich namentlich outen, jene Anerkennung, die anonymen Gutachtern versagt bleibt.

Auch etablierte Zeitschriften haben die Vorzüge der virtuellen Begutachtung entdeckt. Das "British Medical Journal"stellt seit Ende 2003 einen Teil der eingereichten Manuskripte ins Netz. Seit einigen Wochen bietet auch "Nature"seinen Autoren diese Option an. Wobei bislang allerdings nur namentlich gekennzeichnete Kommentare zugelassen sind. Mit einer breit angelegten Debatte über das Verfahren sucht die Wochenzeitschrift nun Anschluss an die Spitze.

Gutachter von außen

Transparente Peer Review findet auch der Forschungsfonds (FWF) gut und fördert die Publikation geförderter Projekte auf entsprechenden Plattformen. Für die Beurteilung von Forschungsanträgen eigne sich das offene Verfahren allerdings nicht, sagte der Open Access-Experte des FWF, Falk Reckling, auf Nachfrage. Das wichtigste Problem bleibe, geeignete Gutachter zu finden.

Diese holt sich der FWF, um Freunderlwirtschaft zu vermeiden, nahezu ausschließlich aus dem Ausland. An den heimischen Universitäten wirbt Reckling dafür, die Leistungen als Gutachter bei der Besetzung von Stellen endlich so zu würdigen, wie das in den USA oder England der Fall ist. Leistungen, die auch mal im nächtlichen Chat erbracht werden. (Stefan Löffler/DER STANDARD, Printausgabe, 26. Juli 2006)