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Christina Maslach
Foto: Archiv
Geht man Christina Maslachs Resümee durch, könnte man vermuten, dass sie selbst ein Burnout-gefährdeter Fall ist. Die gebürtige Kalifornierin unterrichtet seit mehr als einem Vierteljahrhundert an der anspruchsvollen University of California in Berkeley; sie ist dort für das Undergraduate-Programm zuständig; sie ist der Kommission vorgestanden, die 1991 den Bildungskurs der US-Unis für ein Jahrzehnt vorgegeben und dazu den "Maslach-Report" verfasst hat; sie hat zahlreiche Bücher - zuletzt Banishing Burnout. Six Strategies for Improving Your Relationship with Work (2005) - und wissenschaftliche Artikel zum Burnout geschrieben - einem Thema, das sie überhaupt auf die Forschungs-Agenda gesetzt hat -, und ist damit auch regelmäßig auf Kongressen - zum Beispiel im kommenden Herbst in Wien.

DER STANDARD: Frau Maslach, vor mehreren Jahren haben Sie neue Entwicklungen in den Burnout-Studien angedeutet. Was hat sich geändert, was ist der Stand der Dinge?
Christina Maslach: Zum einen sind die Forschungstechniken immer präziser geworden, wir können genauer als bisher sagen, wo wir Formen des Ausgebranntseins antreffen. Vor allem hat es in den vergangenen Jahren eine Verschiebung gegeben, weg von dem Fokus, wie Leute am Arbeitsplatz es gerade noch schaffen zu überleben, hin zu einem positiven Engagement: wie man eine bessere Arbeitsumgebung gestaltet, die das Risiko vermindert und Rückfälle vermeiden hilft.

DER STANDARD: Sie haben sechs Quellen des Burnout definiert: Überarbeitung, Machtlosigkeit, ungenügende Belohnung, systemische Unfairness, Zusammenbruch der Gemeinschaft und Konflikte von Wertsystemen. Kommt man dagegen mit so genannten positiven Strategien an?
Maslach: Wir haben das Problem als mangelnde Balance zwischen persönlichen und organisatorischen Faktoren gesehen und uns stark mit dem unternehmerischen Setting beschäftigt. Unser neues Buch (Banishing Burnout, 2005, Anm.) konzentriert sich mehr darauf, was Individuen tun können. Und sie können tatsächlich einiges tun. Wieder haben wir Faktoren gefunden (Kernwerte etablieren, eine persönliche Richtung bestimmen, andere mit einschließen, einen realistischen Aktionsplan machen und Karriereziele erreichen), alles Faktoren, die gemeinsam mit einem Test zur Selbsteinschätzung des Arbeitslebens von den Lesern angewendet werden können.

DER STANDARD: Klingt auch nach einem sehr erfolgsträchtigen Buchprojekt.
Maslach: (lacht) Ja, warum nicht. Die Betroffenen können jedenfalls herausfinden, was konkret hilft und was nicht.

DER STANDARD: Die Burnout-Forschung ist internationaler geworden. Was beobachten Sie konkret?
Maslach: Ich war gerade in Brasilien, um unser neues Buch vorzustellen. Es ist auffallend, wie viele Menschen ihre Arbeitserfahrung in diesem neuen Rahmen wahrnehmen - mit Einschränkungen. Es ist nämlich auch spannend zu beobachten, wo die kulturellen Grenzen liegen, welche Phänomene nicht universell sind.

DER STANDARD: Wird das genauer untersucht?
Maslach: Es hat bis jetzt nichts zwingend gezeigt, dass Burnout nicht universell ist; wir finden eher stabile Kategorien. Was wir auch herausgefunden haben, sind Unterschiede innerhalb von Berufen, etwa bei Krankenschwestern in Europa und den USA: Belohnung dürfte als universelle Kategorie halten, aber was genau eine sinnvolle Belohnung ist, das kann sehr unterschiedlich sein.

DER STANDARD: Wenn sich die Burnout-Forschung global ausbreitet, liegt das eher an der kommunizierenden akademischen Community oder an den aktuellen Phänomenen der Arbeitswelt - Stichworte Globalisierung, Einsparungen, Out-sourcing?
Maslach: Da bin ich mir nicht sicher. Sicherlich hat sich die Burnout-Forschung über Universitäten verbreitet. Aber das Interesse an sozialen Phänomen geht darüber hinaus. Sowohl Stress als auch Burnout wurden in der Arbeitswelt in ihren unternehmerischen Kosten unterschätzt, nämlich in den Folgen - als Krankheiten. Und diese Kosten sind hoch. Unternehmen begannen uns erst zuzuhören, als sie sich die Produktivitätsverluste und Versicherungskosten anschauten.

DER STANDARD: Das zählt wohl zu den Gründen, warum Jobs in Regionen exportiert werden, wo Arbeitskräfte nicht nur billiger, sondern angeblich auch belastbarer sind. Wie genau wird der von Ihnen bereits erwähnte Zusammenhang zwischen Burnout und körperlicher Gesundheit untersucht?
Maslach: Noch immer relativ wenig. Burnout-Forschung hat sich traditionell mehr der Arbeits- und sozialen Umgebung gewidmet. Da ist noch viel zu tun, bei uns wie auch in den Zielländern des Outsourcing. Der Export von Jobs birgt in dieser Hinsicht sicher Probleme.

DER STANDARD: Welche zum Beispiel?
Maslach: Zum Beispiel, dass Unternehmen ihre Ziele erreichen wollen, zugleich die Probleme zur Kenntnis nehmen, dennoch ihre Mitarbeiter nicht überfordern wollen.

DER STANDARD: Gibt es eigentlich "gesunde" Unternehmen oder Organisationen?
Maslach: Darüber kann man eher spekulieren als gesicherte Daten liefern. Da wäre wieder zu differenzieren, was in welchen Kulturen als "gesund" zu sehen ist - Vergleiche wären interessant. Bis jetzt arbeiten die Forscher allerdings hauptsächlich in einer, nämlich ihrer Kultur.

DER STANDARD: Man hat den Eindruck, dass sehr vieles noch ungesichert ist.
Maslach: Das stimmt. Wir brauchen mehr Studien, die sich die langfristigen Folgen von Überlastung ansehen. Und wir müssen besser verstehen lernen, was Interventionen am Arbeitsplatz wirklich bringen. Es gibt viel "verstecktes Wissen" darüber draußen in der Arbeitswelt, doch wir wissen nicht, wie erfolgreich das angewendet werden kann. In den USA haben wir generell das Problem, dass wir nach einem Experiment nicht lange und geduldig genug dranbleiben, um feststellen zu können, ob wir das Richtige gemacht haben.

DER STANDARD: Das ist nicht so sexy.
Maslach: Ganz genau.

DER STANDARD: Haben Sie selbst je Burnout erlebt? Maslach: Ich denke, nein. Aber ich habe während meiner College-Zeit mit Sozialarbeitern auf der Psychiatrie gearbeitet - da habe ich erfahren, was Burnout bedeutet, auch als ich mit Gefängnisinsassen geredet habe. Ich habe wohl aus meiner eigenen Forschung gelernt. Gelernt, dass man das Unangenehme immer mit etwas Angenehmen ausbalancieren soll; dass man neue Lösungen finden soll - darum interessiere ich mich jetzt besonders für die positiven Strategien des "Job Engagement". (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 01.07.2006)