Was zusammen gehört, lernen Kinder spielerisch. Was die Welt zusammenhält, darüber machen sich Wissenschafter und Philosophen seit der Antike Gedanken.

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Schon die antiken Philosophen fragten nach dem Ursprung menschlichen Handelns und Denkens. Die Kognitionswissenschaft setzt die Suche nach dem Verstehen fort - und integriert dabei Natur- und Informations- wie auch Sozial- und Geisteswissenschaften.

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Man mag sich darüber streiten, was Genialität ist. Fakt ist: Sie bringt drei Kilogramm auf die Waage. Die Rede ist vom menschlichen Gehirn: Denkorgan, Bewusstseinszentrum, Gefühlsquelle, Kommunikationsvermittlung, Kreativitätssinn in einem. In seine Windungen und Gruben entstehen Meisterwerke.

Die grob geschätzt 100 Milliarden Nervenzellen koordinieren mit gleicher Sorgfalt alle notwendigen Sinne und Bewegungen, um einen Wasserhahn aufzudrehen, wie eine Geige zu spielen. Sie merken sich Songs und mathematische Formeln. Ganz abgesehen von solch merkwürdigen Zuständen wie Glück und Trauer, Langeweile oder Lust.

Kein Wunder also, dass sich die Menschheit von Anbeginn über sich selbst wundern musste. Goethes Faust sich bei der Suche, "was die Welt im Innersten zusammenhält" zwischen Wissenschaft und Leben zerrieb. Und sich schon die Philosophen der Antike nur all zu gern mit Fragen zu sich selbst beschäftigte. "Die Kognitionswissenschaft ist also fast so alt wie die Menschheit selbst", sagt Georg Dorffner vom Institut für medizinische Kybernetik und Artificial Intelligence am Hirnforschungszentrum in Wien.

Die Kognitionswissenschaft setzt die Philosophie der Antike fort. Sie will das Denken und daraus resultierende Handlungen verstehen. Dabei bedient sie sich eines ganzen Blumenstraußes an Fachgebieten "Ein ganz wesentliches Motiv ist daher die Hirnforschung", sagt Dorffner. Seit man mit Bildern messen kann, welche Hirnregionen aktiviert werden, kann man auch soziales Handeln, Gefühle, das Sehen oder die Sprache im Kopf nach verfolgen. Neuroforscher liefern dazu das Wissen, wie Nervenzellen mit einander kommunizieren.

Heute weiß man, welche Kreisläufe Depressionen erzeugen, dass fehlende Botenstoffe Epilepsie auslösen, und dass man mit Elektroden im Hirn, Parkinson aufhalten kann. Wie und wo aber Informationen codiert werden und wie Verhalten entsteht, ist den Hirnforschern noch ein Rätsel.

Modelle müssen also her, um sich ein Bild vom Denken zu machen. Schon aus diesem Grund bildet die IT-Branche ein weiteres großes Standbein. Gern verglichen mit dem geistigen Vater des kugeligen R2 D2 aus dem Film Krieg der Sterne, verfolgt die Gruppe von Wissenschaftlern, die sich der künstlichen Intelligenz verschrieben haben, viel seriösere Ziele. "Natürlich versuchen wir auch Roboter dem Menschen ähnlicher zu machen, eigentlich aber versuchen wir das Denken mathematisch zu erfassen," erklärt Dorffner.

Neuronale Netze nennt sich das im Fachjargon, wenn Computer Programme nach einem vorgegebenen Muster anfangen zu lernen. So genannte Web-Services gehören im entfernten Sinne dazu. Dabei lernen Server, wie etwa Google, welche Informationen gerade von ihnen abgefragt und wo sie das Wissen abrufen können.

Binäre Denkmodelle

Ähnlich arbeiten die binären Denkmodelle. Dorffners Gruppe entwickelt ein neuronales Netz, "das einfach Lernaufgaben lösen kann". Es kann Worte lernen und Wortformen zu einander in Verbindung setzten. Wie der Belgier Luc Steels, der zwei sehende Roboter mit Sprachfragmenten ausstattete und sie kommunizieren ließ. Nach und nach entwickelten sie eine eigene Sprache, fanden Begriffe für das was sie sahen - und so beobachteten die Forscher stimulierten sich gegenseitig.

Der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken sei ein ganz zentrales Element der Kognitionswissenschaft, meint auch Brigitte Römmer-Nossek und schließt dabei den Kreis aus zu den Philosophen aber auch Verhaltensforschern. Sie koordiniert am Intstitut für Wissenschaftstheorie bei einem der Pioniere des jungen Forschungsgebiets, Franz-Markus Peschl, den neuen Studiengang Cognitive Science.

Wer Kognitionswissenschaft verstehen möchte, muss sich ihren Studienverlauf betrachten. Sie begann mit Politik und Anglistik. Dann las sie "fremd": Über Systemtherorie, Sprache und endet in der Hirnforschung. "Irgendwann", so erzählt Römmer-Nossek, "sagte ein Freund zu mir: Was Du liest, kann man in den USA studieren."

So sammelte sie Informationen und bastelte sich ihren eigenen Stundenplan. "Kognitionswissenschaft ist eben nicht eine Disziplin, sondern setzt sich aus ganz unterschiedlichen Gebieten zusammen", resümiert sie ihren Werdegang. Und weil sie in Deutschland damit keinen Abschluss erreicht hätte, kam sie nach Wien und absolvierte ein Studium irregulare in "Brain and Cognitive Science" ein.

Interdisziplinäres Denken ist gefragt. Damit tat sich Österreich in den letzten Jahren nicht leicht. Nur dem Engagement einer Gruppe aus Wissenschaftern ist es zu verdanken, dass Studenten im Herbst zum ersten Mal einen Studiengang Kognitionswissenschaften belegen. Ein übergreifendes Forschungsprogramm, vermissen Dorffner und Römmer- Nossek jedoch weiterhin.

Dabei beherbergt die Forschung verheißungsvolle Anwendungen: Sei es in der Rehabilitation von Hirngeschädigten, Therapien für Sprach- und Lese-Rechtschreib-Geschwächte, in der Entwicklung neue Computerprogramme oder im nicht so altruistischen Neuromarketing - ein Bereich in dem Wissenschafter erforschen, wie sich Produkte dem Kunden am sympathischsten präsentieren. (Edda Grabar/DER STANDARD, Printausgabe, 2. 8. 2006)