Luftaufnahme von "Ferropolis".

Foto: Ferropolis

Die Rückseite des Bauhauses in Dessau diente meist als Vorlage für andere Bauhaus-Fassaden.

Foto: Ina Freudenschuss

Steht man genau vor ihnen, hat es den Anschein, als ob sie direkt in den Himmel ragen würden: Die fünf Baggermaschinen in "Ferropolis" sind mit ihren 30 Metern Höhe und den imposanten Schienenverlegungen am Boden die wahrlich herausragendste Erscheinung auf dem Gelände der "Stadt aus Eisen".

Um eine echte Stadt handelt es sich bei "Ferropolis" auf der Halbinsel im Gremminer See freilich nicht, wenn auch eine richtige Ortstafel am Eingang diesen Anschein erwecken soll. Das Gelände ist eher ein "Kunstort": 1991 wurde in dem ehemaligen Braunkohle-tagebau nahe der Kleinstadt Gräfenhainichen das letzte Mal abgebaut, seither standen die Maschinen, die die Rohstoffe für die Kraftwerke Zschornewitz und Vockerode aus der Erde hämmerten, still.

Das Gelände "Golpa Nord" ist dabei nur eines von vielen modernen Industrieanlagen im ehemaligen Osten, deren Folgenutzung die Landschaftsplanung vor große Aufgaben stellt. Einige wurden durch Überflutung zu Erholungsgebieten umfunktioniert, bei Golpa Nord hat man sich nach einer Idee des Bauhauses Dessau dazu entschieden, die Transformation der "Mondlandschaften" in eine postindustrielle Kulturlandschaft zu wagen. Dem gängigen Blick auf das ausgeweidete Land als Wunde in der Landschaft, als einzige Umweltsünde, galt es etwas entgegenzusetzen: Eine Art Industriedenkmal wurde daraus, das zugleich modernen Fortschritt wie auch vergangene Arbeit versinnbildlicht.

Spitzenzeit am Bagger

Der "Themenpark" ist für Besucher heute frei begehbar, ein hauseigenes Museum informiert über die Bergbauindustrie Mitteldeutschlands, in der zu Spitzenzeiten bis zu 60.000 Menschen Arbeit fanden. Mittels eigener Großmaschinen-Touren kommen Technik-Affine auf ihre Rechnung: Die Begehung des Baggers "Gemini" gewährt Einblick in den Weg des "Abraums" - des Schutts, der für die Kohlegewinnung verkippt werden musste. Genutzt wird das Gelände auch für Großveranstaltungen, wie kürzlich vom renommierten Electronic- und Pop-Festival "Melt". Wer es lieber ruhiger angeht, kann am angrenzenden Gremminer See die "mechanischen Vögel" am schilfbewachsenen Ufer aus der Ferne betrachten.

Nicht mehr als 20 Kilometer von "Ferropolis" entfernt liegt die Bauhaus-Stadt Dessau. Walter Gropius übersiedelte mit seiner Architektur- und Designschule von Weimar in die anhaltische Residenzstadt. Nach dessen Entwürfen entstand 1926 durch staatliche Finanzierung das Bauhaus, ein Gebäude, das Werkstätte, Wohnraum und gesellschaftliches Projekt vereinte.

Schlechter Häuslbauer

Dass die viel gepriesene Funktionalität des "neuen Bauens" auch von einem seiner Erfinder nicht immer eingehalten wurde, wird bei der Führung durch das lichtdurchflutete Gebäude deutlich. Für die Bauhaus Stiftung ist es durchaus aufwändig, die Materialsünden des Meisters fallweise auszubessern. Aus der Feder Gropius' stammen auch noch zahlreiche andere Gebäude der Stadt: Etwa die Meisterhaus-Siedlung, jene Reihenhäuser, die von den Meistern Klee und Kandinsky und ihren Familien bewohnt wurden und zugleich Musterhäuser für "modernes Wohnen" waren. Für den Entwurf des ehemaligen Dessauer Arbeitsamtes kalkulierte Gropius bereits den Massenansturm von Arbeitslosen ein.

Das Bauhaus selbst überstand den Krieg nur stark beschädigt. Nach 1945 hauptsächlich als Schulgebäude verwendet, wurde es zweckmäßig instand gehalten. Erst zum 50-jährigen Bauhaus-Jubiläum 1976 einigte sich die Stadtverwaltung auf eine umfassende Restaurierung und damit auch auf eine Anerkennung des Bauhaus-Erbes in der gesamten Region. Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellte 1996 die Aufnahme des Bauhauses in die Liste des Unesco-Weltkulturerbe dar.

Heute können Besucher in der wiederhergestellten Mensa auf Breuers Stahlrohrstühlen zu Mittag essen. Wer noch stärker auf Tuchfühlung mit dem Leben der Bauhäusler gehen will, kann sich direkt im Bauhaus in den ehemaligen Studentenquartieren einmieten. Die Stiftung verfügt zudem über ein Gästehaus, das selbstbewusst "Wohnen in der Platte" verspricht und angesichts seiner elf Stockwerke den Blick über das "Gartenreich Dessau-Wörlitz" hievt.

Ins Schwärmen geriet einst Goethe über die Spaziergänge durch die im 18. Jahrhundert entstandenen Parkanlagen. Der Dank für diesen selbstgenügsam wirkenden Lustwandel gilt dem Fürsten von Anhalt-Dessau und seinen Bildungsreisen nach England. Dem englischen Gartenkonzept der "ornamented farm" nachempfunden, entstanden ab 1765 die Wörlitzer Gärten mit ihrem klassizistisch angelegten Schloss als Zentrum. Der von der Stiftung Bauhaus in den 90er-Jahren geprägte Begriff des "Industriellen Gartenreiches" lehnt sich an dieses Frühprojekt der deutschen Aufklärung bewusst an. In diesem Sinn wurde "Ferropolis" als Stadt konzipiert, die den konsequenten, wenn auch nicht widerspruchsfreien Weg von der Aufklärung zur industriellen Moderne in der Landschaftsplanung nachzeichnet. (Ina Freudenschuss, Der Standard, Printausgabe 5./6.8.2006)