Pflege im Heim ist für Betroffene wie Angehörige meist die schlechtestmögliche Option. Ist die Übersiedlung unumgänglich geworden, kommen hohe Kosten zusammen, die auch von den Kindern einkassiert werden können.

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Wer als alter, betreuungsbedürftiger Mensch eine Pflegerin von anderswo engagiere statt in ein Heim zu übersiedeln, schone nicht nur die eigene Brieftasche, erläutert Walter Pfeil, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Salzburg. In vielen Fällen erspare er auch den eigenen Kindern "finanzielle Verluste in beträchtlicher, manchmal existenzgefährdender Höhe".

Durch den Rückgriff auf den Pflegeschwarzmarkt sei der Nachwuchs nämlich vor dem Zugriff der Heimträger gefeit, die in sechs von neun Bundesländern Regressforderungen an die direkten Nachkommen der Untergebrachten stellen: an deren Einkommen, wenn es sein muss bis zum Existenzminimum - und, wie Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger ausführt, "auch über Bundesländergrenzen hinweg". Selbst in Fällen, wo zwischen Eltern und Kindern keinerlei Kontakt mehr bestanden habe, seien den Kindern bereits einschlägige Rechnungen ins Haus geflattert.

Grundlage dieser generationsübergreifenden Haftung bieten die Sozialhilfegesetze der Länder, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden (siehe "Wissen"). Diese wiederum stützen sich auf das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB), das beidseitige Unterhaltspflichten zwischen Eltern und Kindern vorsieht. Das jedoch - so Experte Pfeil - ändere nichts an dem Umstand, "dass solche Regressforderungen nicht mehr den heutigen gesellschaftlichen Realitäten entsprechen und abgeschafft werden sollten". So, wie es die Länder Wien, Salzburg und Oberösterreich bereits gemacht haben.

Arbeiten und pflegen

Der Rückgriff auf die Kindereinkommen suggeriere, dass die junge Generation die Betreuung der Eltern aus freiem Entschluss heraus an Heime delegiere. Dass die meisten Jungen die Wahl hätten, es auch anders zu halten und sich persönlich um die pflegebedürftigen Altvorderen zu kümmern. Doch das sei keineswegs der Fall: "Wer arbeitet, wird zu immer mehr Flexibilität aufgefordert, soll bereit sein, längere Arbeitswege und Versetzungen an andere Orte auf sich zu nehmen. So jemandem auch noch Pflege in der Familie abzuverlangen ist unrealistisch und unehrlich". Eine Unehrlichkeit, die Pfeil "derzeit auch der Politik vorwirft".

Zudem sei nicht einzusehen, "warum es in Österreich weiterhin neun verschiedene Landesregelungen für dem Pflegebereich geben muss": Ein Umstand, den auch Öllinger kritisiert. Der Grünen-Politiker erinnert in diesem Zusammenhang an "zehn Jahre ergebnislose Diskussionen um eine Vereinheitlichung der Sozialhilfegesetze". Seit dem Jahr 1996 gebe es diesbezüglich Versuche, seit 2001 existiere eine Studie Pfeils, der die Ländergesetze verglichen und Harmonisierungsvorschläge gemacht habe.

Der diesbezüglich bisher letzte Anlauf wurde im Zuge der Finanzausgleichverhandlungen im vergangenen Jahr unternommen. Die Gespräche scheiterten wie schon mehrere Mal zuvor: Die Länder, die mit einer stetig steigenden Zahl von Sozialhilfeempfängern konfrontiert sind, hatten vom Bund verlangt, dieser solle zuerst das Krankenversicherungsproblem für Empfänger von Sozialgeld lösen. "Es sind die Länder, die sich gegen eine Harmonisierung in diesem Bereich - also auch bei den Regressen - sträuben", heißt es denn aus dem Büro von Sozialministerin Ursula Haubner.

Damit war auch die Überarbeitung von Kostenbeiträgen und Regressen für die Pflege von Angehörigen vom Tisch. Laut Pfeil "äußerst schade", da so ein akutes Problem ungelöst geblieben sei. Dabei verfüge Österreich über ein "beachtliches Pflegegeldsystem" - und auch die heimische Pflege-Infrastruktur ist laut dem Experten "im europäischen Vergleich nicht schlecht". (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, 10.8.2006)