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Robbie Williams macht sich nicht nur über sich selbst lustig und transformiert damit das alte Superstar-Modell ins Heute. Er ist auch immer ehrlich.

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Robbie Williams, die letzte große Ich-Aktie einer im Sterben liegenden Popindustrie, gastiert am Freitag und Samstag im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Wie konnte es so weit kommen? Wieder einmal schuld: wir mit unserer Gier nach ironischer Brechung trister Verhältnisse!


Wien - Kreisch! Kreisch!! Kreisch!!! Wenigstens einmal noch geht es dem zuletzt etwas ins Gerede gekommenen Neoliberalismus als letztes großes Aufbäumen der von internationalen Großkonzernen verzweifelt mit allerletzten Finanzreserven befeuerten Popkultur wieder gut. Auch in der heimischen Provinz. Immerhin ist dieser Tage der begnadete britische Entertainer und Sängerdarsteller Robbie Williams in der Wiener Stadt abgestiegen, um als laut Plattenvertrag mindestens 120 Millionen Euro schwerer Lap- und vor allem Top-Nomade der neuen Selbstständigkeit seine Ich-Aktie mit zwei Konzerten im Ernst-Happel-Stadion noch um ein kleines kapitalistisches Bisschen mehr aufzuwerten. Hamm!

Darüber hob in den heimischen Kreisch- und Jubelmedien schon vor Wochen ein derartig aufgekratzt-geiles Geheule an, wie man es zuletzt vor langer, langer Zeit gehört hat - damals, als in den 80er-Jahren unter ähnlichen, rein auf dem Papier in die Höhe gepuschten Vorzeichen der Yuppie erfunden wurde.

Welche lokal ansässige Robbieistin im Hotel Triest nun tatsächlich physisch ihren Optionsschein auf den am Freitag und Samstag auch die Wiener Massen zumindest akustisch befriedigenden Geld- und Selbstwertmehrers einlösen kann: Zumindest wir an dieser Stelle wollen es gar nicht wissen. Sie werden trotzdem noch davon hören.

Uns soll vielmehr interessieren, warum dieser allerletzte mögliche Pop-Superstar überhaupt wurde, was er ist. Und dies ausgerechnet unter Umgehung des das Popgeschäft weltweit dominierenden US-Marktes.

Zum Thema Singen lässt sich bei Robbie Williams nur so viel anmerken: Singen kann nicht alles sein. Allerdings beherrscht der 32-jährige Brite wie kein anderer den Handel mit seinem symbolischen Kapital. Im Gegensatz zu ursprünglich in den 80er- und 90er-Jahren noch funktionierenden Pop-Superstars wie Madonna oder Michael Jackson legt es Williams nämlich nicht darauf an, mit über millionenschwere Produktionskosten und Marketingmaßnahmen hochgefahrenem Kunsthandwerk für die Formatradios auch nur irgendwie authentisch in seinem Größenwahn zu wirken.

Immerhin waren und sind die Inszenierungen etwa einer Madonna trotz ihrer Hybris immer auch eindeutige Statements ohne jeden doppelten Boden. Robbie Williams, der gerade deshalb zeit seiner seit 1997 zumindest in Europa und Asien im Höhenflug befindlichen Karriere in einem traditionell auf Wahrhaftigkeit angelegten US-Markt keinen kommerziellen Fuß auf den Boden bekommt, spielt vielmehr sehr gekonnt mit allen seit über 50 Jahren angehäuften Rollenbildern und Klischees dieses popkulturellen Handapparats.

Wenn Williams der Eroberer die Stadionbühnen betritt, ist er zwar tatsächlich der Superstar, der sich von den Massen feiern lässt. Gleichzeitig aber relativiert und hintertreibt er dieses bei Madonna oder Michael Jackson noch bierernst und eindimensional betriebene Gehabe dadurch, dass er diese Rolle immer auch gleichzeitig bricht. Ironisch bricht.

Selbst Werbespots funktionieren heute nicht mehr, wenn am Ende nicht erlösendes Gelächter über einen Schlussgag die Spannung löst. Unsere Gesellschaft ist nicht nur durchglobalisiert. Sie ist durchironisiert.

Williams tritt als Star vor die Leute und gibt ihnen zu verstehen, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen eines Heilsbringers für unsere mit sehr viel Sende- und Speicherplatz ausgestattete Freizeitkultur erst einmal gar nicht erfüllen will. Dass er nicht besonders singen, tanzen oder das Alphabet rückwärts aufzählen kann, weiß er auch. Aber: "Let me entertain you!"

Mit dem Charme eines die Geschichte des Showbusiness und dessen popanzhafte Lächerlichkeiten durch jugendliches Langzeitstudium von MTV verinnerlicht habenden Pülchers aus der Vorstadt macht sich unser Held lieber gleich vorneweg selbst über die von ihm letztlich natürlich doch wieder mitbeförderten Klischees lustig. Ähnlich wie beim großen Vorbild Dean Martin möchte sich ein Robbie Williams etwa eine Showtreppe, von der er herabsteigt, lieber erst gar nicht vorstellen, wenn man darauf nach ersten brustgeschwellten Gockelschritten mit gönnerisch imperativ zum Gruß gereckten Armen nicht sogleich ausrutschen und von ihr hinunterfallen könnte. In dieser Treppe liegt der Witz begründet. Der macht Williams dadurch für uns überhaupt erst erträglich.

Robbie Williams singt Lieder, die in all ihrem Pathos und in ihrer Kompatibilität für Feuerzeug-Lichtermeere zwar genauso als Trost- und Kraftspender funktionieren, wie es großer Pop immer schon leistete. Aber Ernstnehmen kann und will man das nicht. Ernst ist das Leben, heiter die Kunst? Selbst im richtigen Leben geht heute nichts mehr ohne Spaß. Das nennt man dann wohl Galgenhumor. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.8.2006)