Social Software hilft bei der Vernetzung von Menschen untereinander - ein Ringel-Ringel-Reihe-Tanz im virtuellen Raum.

Illustration: Standard/Fatih

Blogs, Wikis und Share-Dienste werden das Netz revolutionieren, sagen die Verfechter der Social Software. Und sie werden den Nutzer emanzipieren. Wirtschaft und Universitäten müssten in Sachen Social Software aber noch einiges lernen.

Das Netz hielt nicht, was seine Propheten versprochen hatten. Im März 2000 platzte die Dotcom-Blase, aufgebläht durch völlig überzogene Erwartungen an das wirtschaftliche Potenzial des Internets. Die reale Welt hatte die virtuelle Welt des flauschig-bunten Cyberspace eingeholt. Millionen von Anlegern waren ihr Geld los, Tausende von Webdesignern und Programmierern ihren Job.

Nicht die besten Voraussetzungen für eine innovative Weiterentwicklung des Internets. Und doch ist die nächste Medienrevolution bereits in vollem Gange, das "Web 2.0" wird gesponnen. Sagen jedenfalls die Advokaten von Social Software. Das neue Zauberwort meint Web-Anwendungen, die die Interaktion und den Austausch zwischen Menschen unterstützen, also Blogs, die Online-Enzyklopädie Wikipedia, den Fotosharing-Dienst flickr und Kontaktbörsen wie Friendster, also die "Viele-zu-viele-Kommunikation" oder trendy: many2many.

Auch das nur ein Hype? In der Rhetorik vielleicht, aber sicher nicht nur. Die nackten Zahlen sprechen für sich: Die Blog-Suchmaschine Technorati zählt derzeit 51,5 Millionen Blogs weltweit. Der vor allem bei Jugendlichen im englischsprachigen Bereich beliebte Megablog Myspace hat nach eigenen Angaben am 9. August das hundertmillionste Mitglied aufgenommen.

Er sei kein Anhänger der "kalifornischen Ideologie", wonach Tools die Welt besser machen, sagt Thomas Burg, Medientheoretiker, Entwickler und Berater in Sachen Social Software in einer Person. Dennoch: In all den Blogs und Share-Diensten komme das Internet endlich zu sich selbst. Das Web 2.0 sei zumindest im Prinzip egalitär und partizipativ. "Der Nutzer surft nicht nur, sondern kreiert auch einen Wellenschlag."

Viele wissen mehr

Social Software kommt, wie Burg auf gut Denglisch sagt, aus dem Consumerbereich, nicht aus dem von Organisationen. Diese massive Basis an Nutzern, die "Consumer-Tools" wie die Wikis erreicht haben, ist für ihn ein wesentliches Element von Social Software. Aufgrund ihrer schieren Größe generierten sie Netzwerkeffekte. Das Netz im Netz erzeuge Wissen, das vorher nicht verfügbar war. "Wisdom of the crowd" heißt das, "Schwarmintelligenz" oder ganz schlicht: Viele wissen mehr als wenige.

Ein zentrales Tool hierfür ist das Tagging, das Annotieren von bereits vorhandenen Informationen. "Wenn ich zwei Wissensstücke miteinander verbinde, ist mein Kommentar nichts Parasitäres, Sekundäres, sondern schafft einen eigenen Wert", ist Burg überzeugt. Menschen verlinken für andere Menschen, und damit filtern sie auch. Die harte Währung der digitalen Relevanz ist die Anzahl der Kommentare und Links. Aber wie steht es mit Verlässlichkeit und Qualität des Contents? Masse garantiert ja noch keine Klasse - oder? Dass einzelne Wikipedia-Einträge Unsinn oder Ideologie enthalten, wird sich nicht vermeiden lassen.

Aber eben nur für eine kurze Zeit, denn der Schwarm an Nutzern überwacht und korrigiert sich in der Theorie und meist auch in der Praxis selbst. Im Consumerbereich.

Was aber kann Social Software leisten, wenn wir in den Firewallbereich von Organisationen hineingehen, fragt sich Burg. Dort gibt es scharf gezogene Grenzen zwischen außen und innen sowie strikte Hierarchien im Innern. Siemens erprobe derzeit einen Firmenblog für seine 300.000 Mitarbeiter. Ob dies angenommen, ins Projektmanagement eingebunden und zur Marktbeobachtung genutzt werde, sei derzeit völlig offen.

Ähnlich wie die Wirtschaft müssen auch die Universitäten punkto Social Software noch Lernprozesse durchlaufen. So haben sich die großen Hoffnungen, die man auf E- Learning setzte, bisher nicht erfüllt. Wohl weil zu sehr auf traditionelles Lernen im Sinne einer bloßen Wissensvermittlung gesetzt wurde, bedauert der deutsche Psychologe und Medienpädagoge Sebastian Fiedler, der derzeit am Wiener ZSI (Zentrum für soziale Innovation) forscht.

Dabei wäre E-Learning prädestiniert für Social Software. Fortgeschrittene Studierende könnten lernen, sich mit entsprechenden Tools in ganz neue Bereiche vorzuarbeiten, sich mit anderen zu koordinieren und diese auch als Filter, etwa für die Qualität von Informationen, zu nutzen. Beim Erproben und Einüben neuer Arbeits- und Denkweisen sei der Output erstmal zweitrangig, so Fiedler.

Aber in der Bildungspolitik schlage im Zuge des Bologna-Prozesses das Pendel derzeit wieder Richtung fester Lehrinhalte, Kontrolle und Verschulung aus.

Bei der Integrierung von Social Software in den Alltag hapere es eben noch gewaltig, gibt sich Fiedler skeptisch: Ja, es gebe Millionen von Blogs, aber vielen davon sei nur ein kurzes Online-Leben beschieden, und in den meisten passiere ja nichts Besonderes. Fiedler kommt zum Schluss: "Vielleicht ist Social Software immer noch Avantgarde."

Am 19. September wird im Rahmen der Verleihung des Staatspreises für Multimedia & E-Business eine Expertenrunde zum Thema "Social Software & Web 2.0" diskutieren. Am 2. und 3. Oktober findet im Wiener Techgate die Konferenz "BlogTalk Reloaded" statt. (Oliver Hochadel/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 23.8. 2006)