Die Online-Redaktion des ORF macht in einem "Offenen Brief" mobil gegen Brandstätter. Wrabetz zeigt "Verständnis für die Richtigstellung von Fakten", nicht aber für polemische Angriffe.

Foto: derStandard.at/Johanna Scholz
In einem "Offenen Brief" macht die ORF-Online-Redaktion gegen Helmut Brandstätter mobil, den der gewählte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz künftig wieder mit "gemeinsamen Projekten" ans Haus binden möchte. Das stößt auf den heftigen Widerstand der Online-Redakteure, die sich in der schriftlichen Bewerbung Brandstätters und im Rahmen der Hearings "aufs Gröbste und Fahrlässigste verleumdet" sahen. Wrabetz nahm darauf Brandstätter in Schutz. In einer Replik von Redakteuersvertretung und Betriebsrat auf ein internes Mail des künftigen ORF-Chefs heißt es nun weiter, "wer öffentlich über Unternehmensprodukte Unwahrheiten verbreitet", habe die Chance Kooperationspartner des ORF zu werden. "Wer jahrelang ein erfolgreiches ORF-Produkt im Haus herstellt", solle sich ruhig verhalten.

Im "Offenen Brief" der Redakteurs- und Betriebsräte, der via OTS verschickt wurde, heißt es, Brandstätter "hat das Kunststück vollbracht, nicht eine einzige zutreffende Anmerkung zu diesem für den ORF so wesentlichen Bereich zu machen." Wie groß die Verärgerung der Online-Redakteure ist, zeigt auch der Schlusssatz, in dem sie "dem österreichischen Fernsehpublikum einen 'neuen Portisch'" wünschen, "der es mit den Fakten so genau nimmt, wie es Portisch stets tat und Brandstätter nachweislich nicht."

Wrabetz nimmt Brandstätter in Schutz

In einem ORF-internen Antwort-Mail an Redakteurs- und Betriebsräte zeigte Wrabetz zwar "Verständnis für die Richtigstellung von Fakten", aber "kein Verständnis dafür, dass in polemischer Art und Weise ein externer Bewerber um das Amt des Generaldirektors - der naturgemäß nicht über alle Fakten verfügen kann und dem es selbstverständlich frei steht, seine Ansichten und Meinungen zu verbreiten - angegriffen wird".

Es sei "nicht akzeptabel, dass für Menschen, die kontroverselle Meinungen über Produkte oder Sendungen des ORF äußern, via APA Kooperationsverbote gefordert werden", meinte der gewählte ORF-Generaldirektor. "Im Übrigen können Sie versichert sein, dass mich weder Angriffe noch mehr oder weniger gut gemeinte Ratschläge in meinen Entscheidungen, die ich ausschließlich im Sinne der strategischen Ausrichtung des ORF und zu dessen Nutzen treffe, beeinflussen werden."

Replik auf Wrabetz

In der daraufhin folgenden Replik der Redakteuersvertretung und des Betriebsrates, die etat.at vorliegt, heißt es im Wortlaut: "Die erste Lehrstunde im 'neuen ORF' haben wir verstanden: Wer öffentlich über Unternehmensprodukte Unwahrheiten verbreitet, hat die Chance, ein 'Kooperationspartner' des ORF zu werden. Wer jahrelang ein erfolgreiches ORF-Produkt im Haus herstellt, der soll sich im Moment, wo Unwahres über seine Arbeit verbreitet wird, ruhig verhalten. Die Geschäftsführung wird demnächst eine Sanierung an 'Haupt und Gliedern' durchführen. Wir sind schon gespannt, wann wir zur Behandlung kommen - und ob wir die Chance auf einen Doktor haben oder uns der Kurpfuscher mit dem Schlauch abspritzt."

Weiter: Offener Brief der ORF-Online-Redaktion im Wortlaut Offener Brief der ORF.at-Mitarbeitervertreter an Wrabetz im Wortlaut

"Sehr geehrter Herr Dr. Wrabetz, mit an Empörung reichender Verblüffung haben wir Ihre Aussage gegenüber der APA gelesen, der zufolge Sie Helmut Brandstätter 'gerne ins Haus zurückholen wollen'. Herr Brandstätter hat in seiner schriftlichen Bewerbung und im Rahmen der Hearings alle ORF-Online-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter aufs Gröbste und Fahrlässigste verleumdet. Dieser Herr hat das Kunststück vollbracht, nicht eine einzige zutreffende Anmerkung zu diesem für den ORF so wesentlichen Bereich zu machen. Wir könnten jede einzelne seiner kontrafaktischen Behauptungen im Detail widerlegen, was wir bei Gelegenheit gerne tun werden. Im Moment wollen wir nur folgende Fakten festhalten:

Auf der einzigen der Internet-Branche zur Verfügung stehenden Weltrangliste, dem von Amazon.com betriebenen Alexa.com-Ranking, sieht es mit Stand heute so aus:

ORF.at Platz 1.410
ARD.de Platz 2.051
ZDF.de Platz 2.883
RAI.it Platz 2.563

Wenn das Webangebot, dem ein Acht-Millionen-Markt zur Verfügung steht, in absoluten Zahlen größer ist als Webangebote aller anderen öffentlich-rechtlichen Broadcaster in Kontinentaleuropa, denen 55-oder 80-Millionen-Märkte zur Verfügung stehen, dann müssen sich die, die dieses Angebot täglich erarbeiten, von keinem 'Berater' - dieser Ganzjahresgelsenplage fast aller ORF-Mitarbeiter - 'Ratschläge' bieten lassen, die aus einer Web-2.0-'Spiegel'-Geschichte und schlecht verdauten 'Wired'-Storys kompiliert sind. Wir haben, stets auf ORF-Sparkurs, unser 1996 bestelltes 'Wired'-Abo schon vor Jahren storniert, spätestens als es von dem Fashion- und Modeverlag Conde-Nast gekauft wurde.

Wir pflegen selbstverständlich auch die bei weitem größte Web-Community des Landes. Von den 2,959.294 Usern, die die ÖWA-Analyse ORF ON derzeit bescheinigt (im Winter sind es immer mehr), sind wenige über 50. Wir werden dennoch, um der Realitätsabgehobenheit à la Brandstätter vorzubeugen, auch weiterhin dessen Hearing-Forderung ('man muss den Jungen etwas anbieten, zum Beispiel Online-Communitys') nachstreben. Wir bitten bloß um Verständnis, dass wir bei einer tendenziell überalterten Acht-Millionen-Bevölkerung an Grenzen stoßen müssen.

Im Übrigen wünschen wir unseren sympathischen Kollegen von puls-TV auch weiterhin das Überleben einer mehrmonatigen Brandstätter-Geschäftsführung. Auch n-tv ist das, dank eines finanzstarken Sanierers, gelungen. Und dem österreichischen Fernsehpublikum einen "neuen Portisch", der es mit den Fakten so genau nimmt, wie es Portisch stets tat und Brandstätter nachweislich nicht." (APA/red)