Wien - Begonnen hat alles schon vor vielen Jahren in Fischbach, einem kleinen Flecken in der Steiermark. Dort lebte Johanna Doderer (Jahrgang 1969) zwischen 1993 und 1995, als sie an der Grazer Musikuniversität Beat Furrers Kompositionsklasse besuchte. Was es ihr besonders angetan hatte, waren aber die Geräusche der Fischbacher Kläranlage. Durch zunächst nur behelfsmäßige Tonbandaufnahmen versuchte sie den musikalischen Eigenwert derselben aufzuspüren.

Diese Faszination, die technische Klänge auf sie ausüben, prägt auch Doderers zweite Oper "STROMDieOper", die am 1. September in der Halle G des Wiener Museumsquartiers unter der musikalischen Leitung von Ulf Schirmer mit dem Wiener Concert-Verien zur Uraufführung kam. Diesmal ist es zwar nicht der Gesang der Gülle, den sie nachhorcht und einfängt, es ist das unruhige Sirren und Flirren des elektrischen Stromes, und es sind die Klänge der Stadt Wien. Dieser prägenden Formante des neuen Werkes entsprechend finden die Proben auch im Elektrizitätswerk in Simmering statt. Ganz klar, dass sich Wienstrom bei einem solchen Projekt auch als Sponsor einstellt.

Zweifellos ist diese Technikfaszination bei einer Komponistin, die sich nach Studien bei Erich Urbanner couragiert zur Tonalität bekennt, fürs erste erstaunlich. Beim zweiten Hinhören merkt man jedoch, dass die von ihr eingefangenen Geräusche keineswegs nach der Rezeptur der "musique concrète", wie sie Pierre Schaeffer kreierte, eins zu eins unbehandelt zum Verlauf der Musik hinzuaddiert, sondern durch sorgsame Filterung als instrumentaler Effekt, der das Spektrum der Klangfarben erweitert, in diesen integriert werden.

Als Vorlage für den von ihr selbst verfassten Text dienten ihr die Bakchen des Euripides. In diesem Werk, das die ebenso zerstörerische wie triumphale Rückkehr des Dionysos nach Theben zum Inhalt hat, empfindet sie den Sog des Schicksals ebenso hochvoltig und unausweichlich wie die energetische Kraft des elektrischen Stroms.

Frauen in Ekstase

Was Johanna Doderer an diesem Werk des griechischen Tragikers außerdem reizt, ist das Wechselspiel zwischen weltentrückter Ekstase, in die Dionysos vor allem Thebens Frauen versetzt, und die Versuche von König Pentheus, dem orgiastischen Chaos durch rationale Maßnahmen Herr zu werden. Fühlt sie sich doch als Komponistin selbst als Grenzgängerin zwischen musikalischem Schaffensrausch und der von Ordnungen und Notwendigkeiten geprägten profanen Welt. Doch auch innerhalb ihres Schaffens wechseln spontane, schöpferische Trunkenheit und bewusste Arbeit nach vorgegebenen oder selbst gefundenen Normen. In dieser Hinsicht vergleicht sich Doderer mit einem Bildhauer. Das Rohmaterial, als welches ihr die spontan entstandene Skizze dient, wird so lang behandelt, bis die endgültige Gestalt gefunden ist, aber die vitale Kraft der ursprünglichen Idee noch spürbar bleibt.

Diese stufenweise Vorgangsweise mag es auch mit sich bringen, dass sich dramatisch geballte Situationen in dynamisch auffällig fragilen musikalischen Strukturen ausdrücken. Dies ist für Doderer auch Teil ihrer musikdramatischen Grundsätze, denen zufolge von der Handlung vorgegebene Konfliktsituationen nicht durch akustische Kraftakte dupliziert zu werden brauchen. Wie das Musiktheater für die Komponistin überhaupt ein zentrales Anliegen darstellt. Und zwar im traditionellen Sinn. Mit Arien, Ensembles, Zwischenspielen, von denen sie wünscht und hofft, dass sie vom Publikum spontan erlebt werden.

Für die Uraufführung rechnet sie sich diesbezüglich, vor allem was die Probenbedingungen anbelangt, gute Chancen aus. Paradoxer Weise wegen einer vor zwei Jahren nach Proben notwendig gewordenen Verschiebung des Projekts. Durch diese Unterbrechung ist die Musik bei den Protagonisten nämlich ins Unbewusste gesickert, sodass sie ihre Partien nun weit souveräner beherrschen als bei der Erstbegegnung vor zwei Jahren. (Peter Vujica/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 1.9. 2006)