Wenn Hilde Hawlicek, rührige Kunstministerin der späten 80er-Jahre, und der Bundestheater-Manager Josef Kirchberger, damals einer ihrer engsten Mitarbeiter, zusammensitzen, dann geraten sie gerne ins Schwärmen über die gute alte Zeit, die Ära Kreisky also, und die Dekade danach.

Denn damals waren die kulturpolitischen Ansätze der SPÖ andersartig, neu, progressiv. Das Bekenntnis zur Gegenwartskunst wurde von der Basis zwar nie wirklich mitgetragen, aber „Kultur für alle“ war ein eingängiges Schlagwort: Bürgerliche Bastionen zu erobern schien ein reizvolles Ziel. Zudem gab es vieles gegen Widerstände durchzusetzen: das Kunstförderungsgesetz, die Kulturinitiativen ...

Mitte der 90er-Jahre hatte sich das Programm jedoch schon ziemlich abgenützt. Die „kulturelle Hegemonie“ (sehr frei nach Antonio Gramsci) konnte nur deshalb aufrecht-erhalten werden, weil Jörg Haider jene zu brechen trachtete. Der von ihm mit Verleumdungen betriebene „Kulturkampf“ bewirkte geradezu das Gegenteil: Er einte ein letztes Mal das „linke Lager“.

Doch spätestens mit der Wende im Jahr 2000 war den Sozialdemokraten der Lieblingsfeind abhanden gekommen: Die Freiheitlichen äußerten sich als Koalitionspartner praktisch nicht mehr kulturpolitisch, was dazu führte, dass heute kein Mensch weiß, ob FPÖ und BZÖ überhaupt noch Kultursprecher haben.

Ohne Brandung bedarf es aber keines Felsens: Die jungen Strategen der SPÖ gingen gelangweilt in die Wirtschaft, die Kulturpolitik betreiben weiterhin jene, die sie schon vor 15 oder 20 Jahren betrieben haben. Und sie vermögen nichts, als die alten Parolen, neu eingekleidet, zu wiederholen: Man fordert nicht mehr „Kultur für alle“, sondern „Förderung der kulturellen Partizipation aller Menschen“.

Seit 2001 hat die SPÖ zwar eine neue Kultursprecherin – aber Christa Muttonen setzte nie Akzente: Sie agiert derart brav und rechtschaffen, dass vor ein paar Monaten nicht einmal der steirische SP-Kulturlandesrat Kurt Flecker von ihrer Existenz wusste.

In der Kulturpolitik herrsche eine „Starre“, muss Muttonen konstatieren. Und diese Starre befiel auch ihre politische „Bewegung“: SP-Vorsitzender Alfred Gusenbauer hat die sechs Jahre in der Opposition verstreichen lassen, ohne ein Gegenmodell zur einlullenden oder restriktiven VP-Kulturpolitik entwickeln zu lassen. Vielleicht ist ein solches gar nicht möglich, weil die grundlegenden Ziele wenigstens rhetorisch verwirklicht sind, daher nur Verbesserungen möglich scheinen. Dementsprechend ähnlich sind kulturpolitische Ankündigungen von SPÖ und ÖVP.

Die einen versprechen, man wolle „ein Klima der Toleranz und Neugier“ fördern und die Rahmenbedingungen laufend den neuen, aus der Kunst selbst formulierten Anforderungen anpassen, im Mittelpunkt stehe „die direkte Förderung des künstlerischen Schaffens und schöpferischer Leistungen, besonders auch der jungen Generation“. Und die anderen verkünden:„Förderung der kulturellen Vielfalt und eines offenen kulturellen Klimas sowie die besondere Förderung des zeitgenössischen Kulturschaffens ...“

Glauben schenken will man beiden Parteien nur sehr schwer. Denn VP-Kunststaatssekretär Franz Morak agierte mitunter verbissen kleinlich, indem er ohnedies geringe Subventionen strich. Und die Sozialdemokraten bewiesen wiederholt eine erschreckende Kunstfeindlichkeit. Der Salzburger SP-Bürgermeister zum Beispiel zensurierte (mittels „Einhausung“) ein provokantes Kunstwerk der international höchst erfolgreichen Gruppe „Gelitin“, das von einer VP-nahen Museumsdirektorin in Auftrag gegeben worden war. Und nicht nur SP-Geschäftsführer Josef Cap verlangte Anfang dieses Jahres vehement „Zensur“, weil im Rahmen der von VP-Chef Wolfgang Schüssel mitfinanzierten Interventionsreihe 25peaces auf Plakatwänden ein EU-Slip zu sehen war.

Früher, als die SP die Mehrheit hatte, konnte sie sich das Eintreten für die zeitgenössische Kunst leisten. Heute vermag sie dies nicht mehr. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.9.2006)