Dalits, gebrochene Menschen, nennen sich Indiens Unberührbare. In einer nationalen Kampagne fordern sie nun ihre Menschenrechte ein. Coolies" nennen sie sich selbst. Was heißt, dass sie als TagelöhnerInnen arbeiten, in der Landwirtschaft oder am Bau. Die Männer legen die Ziegel, die Frauen tragen den Zement, die Männer pflügen, die Frauen jäten das Unkraut. Wenn sie gebraucht werden. Die allerwenigsten finden rund ums Jahr Beschäftigung. Leben müssen sie am Rand ihres südindischen Dorfes namens Kankupa, denn sie sind Unberührbare - Dalits, "gebrochene Menschen", wie sie sich selbst nennen - und von den Angehörigen der höheren Kasten in ihre Grenzen verwiesen worden. Noch vor wenigen Jahren mussten sie ihr Trinkwasser aus einem stehenden Teich nehmen, der einzigen für sie verfügbaren Wasserquelle, wo auch die Tiere gewaschen wurden. Denn der Zugang zu den Quellen im Dorf war ihnen versagt. Doch dann ergriffen einige Frauen die Initiative. 35 waren es an der Zahl, und sie waren entschlossen, ordentliches Trinkwasser für ihre Gemeinde zu beschaffen. Auch gegen den Willen der eigenen Männer. Denn die versuchten sie zurückzuhalten. Es werde nur zu Handgreiflichkeiten kommen, und dann zu neuen Repressionen, wandten sie ein. Die Frauen erwiderten: Dann beschafft ihr uns Wasser, oder wir kochen nicht mehr. Drei Tage dauerte der Kochstreik, dann fügten sich die Männer. Die Frauen brachen auf zu einem der Wasserhähne im Dorf. Zurück kamen sie ohne Wasser. Ihre Krüge waren ihnen zerbrochen, sie selbst geschlagen worden. Doch sie gaben so schnell nicht auf. Als ein Antrag an das Gemeindeamt erfolglos blieb, wandten sie sich an die Bezirksbehörden, und das nicht mit einem schriftlichen Ansuchen, das den Weg so vielen missachteten Papiers gehen würde. Mit ihren leeren Krügen ließen sie sich vor der Bezirksbehörde nieder: Wasser, forderten sie, oder wir streiken hier bis zum Tod. Jagruti steht für Erwachen Heute haben die rund 200 Dalits von Kankupa ihre eigene Wasserversorgung und ihre eigene Organisation, Dalit Jagruti Samithi, die eng mit regionalen Dalitgruppen zusammenarbeitet. Jagruti steht für Erwachen, und für die Dalits hat dies stets eine doppelte Bedeutung: zum wach sein im Sinne eines wachsenden Bewusstseins für die eigenen BürgerInnen-und anderen Rechte kommt das wach im Sinne der Vorsicht. Denn wenn die Dalits sich wehren, müssen sie mit Repressionen rechnen. Organisationen wie die in Rangammas Dorf gibt es mittlerweile viele, auf Dorf- und auf Regionalebene. Auch kleine und größere Erfolge wie den der Dalits von Kankupa gibt es zahlreiche. Doch Indiens 170 Millionen Dalits - 240 Millionen, wenn man die muslimischen und christlichen Dalits dazurechnet - wollen mehr. In einem "Schwarzbuch" hat eine Ende 1998 lancierte Nationale Kampagne für die Menschenrechte der Dalits Bilanz gezogen über den "Verrat" an den Dalits, jenem knappen Viertel der eine Milliarde InderInnen, das unter- und außerhalb des Kastensystems steht. Diskriminierung, Misshandlung und Gewalt seitens der oberen Kasten prägen - über die Armut hinaus - ihr Leben. Bei allen Sozialindikatoren schneiden sie extrem schlecht ab. Ein halbes Jahrhundert nach der Unabhängigkeit Indiens und der Annahme einer demokratischen und pluralistischen Verfassung, 50 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fordern die Dalits, dass nun endlich auch ihre Rechte als Menschenrechte anerkannt werden. Die zunächst nur für ein Jahr gedachte Kampagne geht weiter und will ihre Anliegen auch vor die für das Jahr 2001 geplante UNO-Konferenz zu Rassismus tragen. Innerhalb der Kampagne aber mahnen die Dalitfrauen besondere Aufmerksamkeit für sich ein, sind sie doch dreifach diskriminiert - aufgrund ihrer Kaste, Klasse und des Geschlechts. Frauen setzen sich zur Wehr So wie Rangamma setzen sich mehr und mehr Frauen zur Wehr, mit den Männern gegen die oberen Kasten, als Frauen gegen die eigenen Männer. Wie Rangamma da steht und redet, ist offenkundig: Kuschen ist nicht das Ihre. Rauh und entschlossen ist ihre Stimme, die Augen sprühen Feuer, die zum Kampf geballte Faust fährt immer wieder mal in die Höhe. Sie weiß, wie sehr sie diese Faust - symbolisch gesprochen - noch brauchen wird. Manches ist erreicht, der Großteil des Weges liegt noch vor den Frauen. Im Privatbereich stehen sie fast noch am Anfang. Ja, Rangamma hat in einem Glück gehabt. Als auch ihr zweites Kind eine Tochter war, machten die Schwiegereltern Druck auf ihren Mann, sich doch eine andere, zur Geburt von Söhnen fähige Frau zu suchen. Der aber wollte davon nichts hören. Einmal noch würden sie es versuchen. Als auch das dritte Kind eine Tochter war, ließ Rangamma sich sterilisieren, und ihr Mann stand dazu: Buben oder Mädchen, das spielt keine Rolle, wir kümmern uns um unsere drei Kinder. Doch wenn es in der Öffentlichkeit um die Rolle der Frauen geht, tut sich auch Rangammas Mann schwer. "Wenn er mich in unseren Organisationstreffen als gleichwertig behandelt, muss er mit den Angriffen der übrigen Männer rechnen. 'Ihr seid unsere Frauen', heißt es da knapp. Und das bedeutet letztlich nichts anderes als: Ihr habt eure Pflicht zu erfüllen. Ihr habt euch nicht aufzulehnen gegen das, was ihr als schlechte Behandlung oder Gewalt durch uns Männer empfindet.'" "Es ist leichter für 20 Dalits, sich gegen hundert Angehörige anderer Kasten durchzusetzen als für eine Frau, sich gegen ihren Mann zu behaupten", bringt es Rangamma auf den Punkt. In der gemeinsamen Organisation über die Gewalt in den eigenen Familien zu sprechen, gelingt noch kaum. Dafür haben die Frauen ihre eigene Gruppe, wo sie langsam an Strategien basteln. Denn lange wollen sie die Unterdrückung durch ihre Männer nicht mehr hinnehmen. Brigitte Voykowitsch Mehr zur Kampagne: www.dalits.org