Das ist drinnen im neuen Supercomputer - IBMs Cell-Chip.

Foto: DER STANDARD/IBM
Vor wenigen Jahren brauchte man einen Supercomputer für komplexe Aufgaben, heute reicht eine Spielekonsole. IBM entwickelte einen extrem leistungsfähigen Chip für die Sony PlayStation 3, der eine Revolution einläuten wird, sagen seine Entwickler.

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Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen Computerspielen und Forschungsprojekten - beide benötigen enorm leistungsfähige Rechner, um Erfolg zu haben. Ob es sich nun um die Herausforderungen der Spielebranche, wie etwa spiegelnde Wasseroberflächen, realistische Gesichtszüge und Haare, die im Wind wehen oder um Forschungsarbeiten zu Proteinketten, Krebs oder Weltraumtechnologie handelt, für die Hardwarehersteller macht dies keinen Unterschied.

Das Ziel heißt Fotorealismus in Echtzeit, und um dies zu erreichen, bedarf es enormer Rechenkapazitäten. Das Geld der Spieleindustrie fördert Technologien, die wiederum auch für die Forschung und die Wissenschaft interessant geworden sind. Wenn im März 2007 der Elektrokonzern Sony seine PlayStation 3 in den europäischen Handel bringen wird, dann steht dem Videospielefreak von nebenan mehr Rechenleistung in seinem Wohnzimmer zur Verfügung, als einer mittleren Forschungseinrichtung noch vor wenigen Jahren.

Fünf Jahre haben IBM, Sony und Toshiba am Herzstück der Konsole gearbeitet, dem "Cell"-Prozessor. In dieser Zeit war ein 400-köpfiges Entwicklerteam an der Umsetzung beteiligt und flossen 400 Millionen US-Dollar in das Projekt. Ein bisschen viel Aufwand für eine Spielkonsole könnte man nun denken, doch dem ist nicht so. "Die Spiele-Industrie hat sich zum Technologie-Treiber entwickelt. Hier sind die Anforderungen enorm und das Geld vorhanden", so Cell-Chefentwickler Peter Hofstee von IBM.

"Spielen ist eine Echtzeitanwendung, genauso wie die wachsende Zahl von Multimedia-Anwendungen. Cell wird hier große Möglichkeiten eröffnen." Das Ziel war eine neue Chip-Generation mit herausragender Rechenleistung, großer Speicherbandbreite und einer neuartigen Architektur. Als Testumgebung wurde die Spielebranche gewählt, doch die großen Erfolge werden in anderen Bereichen gefeiert werden.

Theoretische rund 256 GFLOPS

Cell liefert unter Auslastung seiner sämtlichen Cores theoretisch rund 256 GFLOPS (also 256 Milliarden Rechenschritte in der Sekunde), ein normaler PC mit einem Pentium-4 bei einer Taktfrequenz von 3 Gigahertz kann nach Angaben von IBM etwa 6 GFLOPS erreichen. "Während in der Branche gerade Dual-CPUs in aller Munde sind und erste Quad-Prozessoren für 2007 angekündigt sind, haben wir bereits neun Prozessorkerne auf einem Chip", so Hofstee. Um diese enorm große Anzahl von Kernen auf einem Sockel zu lösen, mussten neue Architekturlösungen gefunden werde. Das herkömmliche Prozessordesign, nämlich die Leistung durch immer kleinere und schnellere Siliziumstrukturen zu steigern, stößt zunehmend an seine Grenzen.

Die so genannte Verlustleistung und die damit verbundene Wärmeentwicklung der Komponenten stiegen mit zunehmender Miniaturisierung überproportional an. Damit wird die Leistungsfähigkeit des Chips eingeschränkt und die Kühlung des Systems erheblich erschwert. "Wer will den schon ein 1000-Watt-Laptop haben oder ein Rechenzentrum, in dem 80 Prozent der Kosten durch den Stromverbrauch anfallen?

Früher war die Wasserkühlung in aller Munde; nach dem Motto "If it doesn't drink, it doesn't think". Aber mit der Cell-Architektur überwinden wir diese Hürde durch die Implementierung einer Parallelrechnerarchitektur mit neun Prozessorkernen auf einem Chip. Er erzielt ein Vielfaches an Leistung herkömmlicher Chips ohne erheblich mehr Strom zu verbrauchen", so Hofstee. Nicht ohne Stolz verweist er auf insgesamt 500 Patente oder Patentanträge auf die man es bei der Entwicklung gebracht hat.

Zehn statt nur zwei Aufgaben

Während ein aktueller Intel-Chip zwei Aufgaben gleichzeitig erledigen kann, schafft Cell zehn. Dadurch werden besonders rechenintensive und breitbandige Anwendungen, wie Simulationen, Videospiele oder extrem aufwendige Berechnungen in der Gehirnforschung, der Bioinformatik, der Luftfahrt oder der Telekommunikation ermöglicht. "Der briefmarkengroße Cell ist ein Prozessor mit der Rechenleistung von Supercomputern vor zehn Jahren. Erst die Zukunft wird zeigen, welche neuen interessanten Applikationen möglich sein werden", so Hofstee.

Eine Möglichkeit hat man an der Universität Stanford schon gefunden. Das Programm "folding@home" steht in einer Version für die Spielekonsole bereit und soll über verteiltes Rechnen die Faltung von Proteinen analysieren. Ein falsch gefaltetes Protein ("Misfolding") könnte die Ursache für Krankheiten wie Alzheimer, BSE oder Krebs sein, vermuten Wissenschafter. (Gregor Kucera/DER STANDARD, Printausgabe, 13. September 2006)