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Moskau - Abermals hat EU-Energiekommissar Andris Piebalgs kürzlich seine Besorgnis geäußert, dass Russland seine Verpflichtungen für die Gaslieferung nach Europa, das zu einem Viertel am russischen Gastropf hängt, nicht erfüllen könnte. Im Oktober wolle er Moskau erneut auf einen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) aufmerksam machen. Diese hatte im Juli in Zweifel gezogen, dass der russische Monopolist Gasprom infolge unzureichender Investitionen über ausreichende Liefermengen verfügt. Analysten sehen ab 2010 die Gefahr von Engpässen.

900 Milliarden Dollar müsse das Land bis 2030 in den Energiesektor investieren, rechnet IEA vor und empfiehlt vor allem, die riesigen Energieverschwendungen im Land einzudämmen. Andere Branchenanalysten bekritteln Gasproms bevorzugte Strategie, Gas in Zentralasien zuzukaufen, und empfehlen eine zügigere Erschließung neuer Lagerstätten.

Schlüsselrolle

Die größte von ihnen liegt in der Barentssee, die mit ihren insgesamt geschätzten 29,7 Billionen m³ eine Schlüsselrolle in der Energieversorgung Europas spielen wird: 550 km nördlich des Eismeerhafens Murmansk befindet sich das so genannte Schtokman-Gasfeld, das größte Offshore-Gasvorkommen der Welt. 3,2 Billionen m³ lagern dort, mehr als doppelt so viel wie im bisher weltgrößten norwegischen Troll-Feld.

Geplant ist, das Gas verflüssigt mit Tankern - auch in die USA - zu transportieren. In einer ersten Phase sollen 30 Milliarden m³ gefördert werden. Die Erschließungskosten sind mit 15 bis 20 Milliarden Dollar veranschlagt.

Ob das Gas wie geplant ab 2010 fließen wird, ist noch nicht sicher. Gasprom, das an dem Projekt 51 Prozent halten wird, braucht nämlich Kooperationspartner, schiebt seine Wahl aber ständig hinaus. Dabei besteht die Shortlist aus fünf Konzernen schon seit einem Jahr: auf ihr befinden sich die norwegischen Norsk Hydro und Statoil, die französisch-belgische Total sowie die amerikanischen ConocoPhillips und Chevron.

Im August sollte bekannt gegeben werden, wer und wie viele das Rennen machen werden. Die Verhandlungen aber waren für Monate ausgesetzt, weil die USA den WTO-Beitritt Russlands blockierte. Vladimir Putin hat daraufhin Norwegen als "natürlichen Partner" hervorgehoben.

Dieser Tage hat Gasprom dann abermals alle Anwärter verständigt, die Bedingungen für eine Teilnahme weiter diskutieren zu wollen.

Nach Europa

Den Modus hat die heurige Kooperationsvereinbarung zwischen Gasprom und der deutschen Eon vorzeigt: Gasprom - die Russen wollen die Positionen gerade in Europa stärken- knüpft die Zulassung zu Projekten an die Übernahme von Aktiva westlicher Firmen. Welche Anteile Gasprom will und welche die fünf Anwärter anbieten, ist letztlich nicht bekannt.

Vor Längerem haben die Norweger Anteile an ihren Lagerstätten Snöhvit, das sie von Hammerfest aus erschließen, und Orm en Large, die Amerikaner Anteile bei der Rückverwandlung von Flüssiggas angeboten. Norwegens Plus ist weiters, über die weltweit besten Unterwassertechnologien für die Gasgewinnung zu verfügen. Dass Gasprom soeben einen Vertrag über den Kauf von 500 Mrd. m3³ Gas von Norsk Hydro für den Weiterverkauf in Großbritannien abgeschlossen hat, wird als gewisse Vorentscheidung gewertet. (Eduard Steiner, Moskau, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.9.2996)