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Singapur/Wien – Er sei "von seiner Veranlagung her ein eher ernster Mensch", sagte Raghuram Rajan, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, doch die Menschen im Stadtstaat Singapur würden ihn ständig dazu bewegen, mehr zu lächeln. "Doch das könnte jetzt schizophren wirken", sagte der gebürtige Inder und frühere Professor an der Universität Chicago bei der Präsentation der Herbstprognose des IWF für die Weltwirtschaft, müsse er doch auch "mehr als üblich" über Risiken referieren.

Die Entwicklung der Weltwirtschaft verlaufe aber grundsätzlich positiv: Die Prognose wurde im Vergleich zum Frühjahr um 0,2 Prozentpunkte auf 5,1 Prozent für das Jahr 2006 angehoben, für 2007 erwarten die IWF-Volkswirte 4,9 Prozent Weltwirtschaftswachstum. "Die gute Nachricht ist zusätzlich", so Rajan weiter, "dass das Wachstum besser ausbalanciert ist, auch wenn die US-Wirtschaft langsamer zunimmt. Die Eurozone hat an Kraft gewonnen, Japans Erholung setzt sich fort und Wachstumsmärkte und Entwicklungsländer zeigen beeindruckende Zuwachsraten."

Österreich: Etwas mehr Zuwachs

Auch für Österreich wurde die Prognose angehoben, von im April erwarteten 2,2 Prozent BIP-Wachstum (Bruttoinlandsprodukt) für 2006 auf nunmehr 2,8 Prozent (für 2007: Revision von 2,1 auf 2,3 Prozent). Das geht aus dem IWF-"World Economic Outlook" hervor. Die heimischen Institute Wifo und IHS haben die Präsentation ihrer Herbstprognosen wie berichtet wegen der Nationalratswahl von Ende September auf den 6. Oktober verschoben. Das Wifo ging im Frühjahr von 2,5 Prozent BIP-Plus für das laufende Jahr aus, eine Revision nach oben ist so gut wie sicher.

Die Herbstprognose des IWF für den Arbeitsmarkt in Österreich fällt fast unverändert gegenüber dem Frühjahr aus: Demnach wird für das heurige Jahr weiterhin eine Arbeitslosenquote von 4,8 Prozent erwartet. Im nächsten Jahr soll die Arbeitslosigkeit dann auf 4,6 Prozent leicht sinken, im Frühjahr war für 2007 noch eine etwas stärkere Abnahme der Arbeitslosenquote auf 4,5 Prozent erwartet worden. Die Erwartungen für die Inflation in Österreich fallen in der Herbstprognose unverändert gegenüber der im April veröffentlichten Vorhersage aus. Demnach sollen die Preissteigerungen heuer bei 1,8 Prozent liegen, 2007 auf 1,7 Prozent sinken.

Risiken aus den USA

Der Währungsfonds hat trotz einer aktuell also wie geschmiert laufenden Weltkonjunktur wie immer auch Warnungen parat: Eine Schlüsselrolle nimmt naturgemäß die US-Wirtschaft ein. Sie könnte doch schneller abgebremst werden als erwartet. Ein Indikator dafür sei der Wohnungsmarkt, der Preisauftrieb sei zum Stillstand gekommen, was auf kommende Zurückhaltung der Konsumenten schließen lasse. Derzeit werde aber noch brav konsumiert, was auf steigende US-Reallöhne zurückzuführen sei, argumentiert Rajan.

In Europa fordern die IWF-Ökonomen weitere "Strukturreformen": "Mehr Arbeitsmarkt-Flexibilität und mehr Wettbewerb im Dienstleistungssektor, inklusive Finanzen, sind der Schlüssel", sagt Rajan, "einiger Fortschritt wurde schon erzielt, aber mehr ist notwendig, angesichts der rapid alternden Bevölkerung." Europas Politiker müssten es schaffen, sowohl im Arbeits- wie im Unternehmenssektor "wohlerworbene Rechte" infrage zu stellen: "Dieser notwendige, aber schwierige Kampf wird andauernd auf die Zeit nach den nächsten Wahlen verschoben. Aber offensichtlich kommen die nächsten Wahlen nie", feixte er.

Auf den IWF selbst kommen auch Strukturreformen zu, die wahrscheinlich größten seit der Gründung 1946. In Singapur wird am Wochenende eine hitzige Debatte darüber erwartet, wie die Stimmrechte (IWF-Quoten) neu zu verteilen sind. Überlagert wird die Diskussion weiters durch die Währungsängste der Europäer, die manche asiatische Währung wie den Yen als zu niedrig bewertet sehen. (Leo Szemeliker, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.9.2006)