Blutdruckmessen zwischen Shopping und Kaffee: So soll zu mehr Gesundheitsbewusstsein animiert werden.
Foto: Standard/Robert Newald
Frauen aus dem 15. Bezirk sterben um gut zwei Jahre früher als Frauen in Hietzing oder Döbling. Ein Pilotprojekt in der Lugner City soll sozial Schwache zu mehr Vorsorge bewegen.

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Wien – Mit einem Packen bunter Folder in der Hand versucht ein junger Mann im Krankenpfleger-Look die geschäftig durch die Lugner City schlendernden Menschen anzusprechen. Hinter ihm türmen sich noch mehr Prospekte bei einer Handvoll Standeln, die außerdem mit Blutdruckmessern, Bewegungstests sowie Ernährungs- und Raucherberatung aufwarten.

Am besten ziehen aber die Luftballons, an denen kein Kind vorbeikommt – was die Chance bietet, auch die Eltern zum kurzen Stehenbleiben zu animieren und sie, quasi zwischen Einkauf und Kaffeetratsch, über diverse Gesundheitsrisiken und die Möglichkeit einer Vorsorgeuntersuchung aufzuklären.

Mit der Aktion "Fit in the City" versucht die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) in Kooperation mit dem Handel jene Menschen anzusprechen, die nur zum Arzt zu gehen, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt, sei es wegen kultureller, sprachlicher oder bürokratischer Hürden.

Dabei sind es gerade Menschen mit geringer Bildung und geringem Einkommen, die aufgrund ihrer Lebenssituation öfter krank werden als Gutsituierte – 60 Prozent der 40-jährigen Wiener Arbeiterinnen und Arbeiter rauchen und sind übergewichtig, ein Viertel leidet an Fettsucht. Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken – und durch gezielte Vorsorge die Gesundheitsausgaben zu senken – begibt sich die WGKK nun direkt zu ihrer Zielgruppe.

Seit Montag und noch bis Samstag läuft das Pilotprojekt in der Lugner City im 15. Bezirk, wie der 10. ein "Risikobezirk" mit geringer Lebenserwartung, hohem MigrantInnenanteil und niedrigem Einkommensindex. Laut WGKK-Obmann Franz Bittner sterben Frauen in Rudolfsheim-Fünfhaus um 2,5 Jahre früher als etwa in Hietzing oder in Döbling. Dafür sei vor allem die geringe Frequenz bei Vorsorgeuntersuchungen verantwortlich. Insgesamt ist die Inanspruchnahme der kostenlosen Vorsorgeuntersuchung erstmals rückläufig: Ließen sich im Jahr 2004 noch 146.800 Wiener durchchecken, waren es 2005 nur noch 141.700.

Info-Defizit

Wie dringend gerade MigrantInnen Informationen zum Gesundheitssystem benötigen, zeigen die Fragen, die an Beraterin Aygül Tenkaz in der Lugner City gestellt werden: "Es sind vor allem verwaltungstechnische Fragen, etwa, wie man eine Zahnarztrechnung aus dem Ausland einreicht oder wie man sich versichern kann, wenn man erwerbslos ist und sich vom Partner trennen möchte."

Speziell an türkische Frauen richtet sich ein "rot-grünes" Projekt, das im November startet. Türkischsprachige Ärztinnen begleiten Frauen bei der Gesundenuntersuchung, um zu dolmetschen. Denn oft scheitert die richtige Behandlung an der Fachsprache, die viele ratlos zurücklässt. (Karin Krichmayr, DER STANDARD - Printausgabe, 22. September 2006)