In weiter Ferne, so nah: "Exile Family Movie" versammelt private Momente und Aufnahmen aus der jüngeren Familiengeschichte des persisch-österreichischen Regisseurs Arash. Hier ein Neffe, jetzt in Kanada ansässig, mit Blick aufs Meer und auf die Zukunft.

Foto: Filmladen
Der im Iran Geborene erzählt darüber, was das für ihn und seine Familie heißt - in größter Distanz zu jenen zu leben, die man liebt und achtet.


Wien - Und unsere Gesichter, mein Herz, vergänglich wie Fotos ... An diesen Buchtitel des großen britischen Schriftstellers, Kritikers und Malers John Berger mag man schon zu Beginn von Exile Family Movie denken. Alte und Junge, Männer und Frauen, Mitglieder einer iranischen, nach der Revolution gegen den Schah über den Erdball verstreuten Familie, die bei raren Wiederbegegnungen Küsse und Umarmungen austauschen. Und, wie man so sagt, nicht wissen, ob sie lachen oder weinen sollen.

Das Videomaterial, auf dem diese Momente intimer Vertrautheit zwischen Eltern und Kindern, Großeltern und Enkeln, Geschwistern, Verwandten aufgezeichnet sind - dieses teilweise noch recht grobe, Vergänglichkeiten verstärkende Material gibt indirekt aber doch erste Auskunft über die Intention dieser Home-Movie-Aufnahmen. Auch wenn man die dramatische, teilweise traumatische und in jedem Fall sehr komplizierte Geschichte dieser Familie noch gar nicht kennt.

Mehr noch als sonst, wenn "Familienmenschen" per Video oder Foto außergewöhnliche Ereignisse und Feste dokumentieren (damit quasi bewahrt wird, was leider nur vermeintlich unvergesslich ist), sind diese Bilder Botschaften.

Über mehrere Jahre hin- und hergesandt zwischen Wien, dem Iran und den USA erzählen sie darüber, wie die Alten älter und die Kinder größer werden. Sie erzählen von Sorgen, Nöten und Freuden - sowie von der permanenten Trauer darüber, dass man sich über Gefühle und Begebenheiten nur am Telefon oder eben durch diese Bilder verständigen kann. Sie sind Behelfe in Zeiten mangelnder Nähe. Oft sind sie nur ein schwacher Trost. Und das Wissen um ihre Fragilität - das ist vielleicht der allererste Grund dafür, dass Exile Family Movie überall, wo dieser erste Kinolangfilm des Regisseurs und Autors Arash bis dato gezeigt wurde, so große Emotionen auslöst.

Schmerz ohne Pathos

Der zweite Grund: Arash, 1972 im Iran geborene, 1982 mit seinen regimekritischen Eltern nach Wien emigriert (die jüngeren Geschwister, noch Kleinkinder, konnten erst Monate später aus dem Iran herausgelotst werden) - er verfügt über die zumindest in unseren Breitengraden ziemlich seltene (in seiner Familie aber offenkundig übliche) Fähigkeit, vom Schmerz zu erzählen, ohne wehleidig zu werden. Dieser empfindsame, hochherzige und zugleich mit hoher Selbstironie gesegnete junge Mann sagt zwar: "Dies soll ein Denkmal für meine Eltern und für den Humanismus sein, für den sie ihr Leben lang kämpften."

Aber nichtsdestotrotz zeigt dieses "Denkmal" keine Helden, sondern einen Vater, der mit dem Verschluss eines Marmeladenglases kämpft, eine Mutter, die als ausgebildete Literaturwissenschafterin Wiener Hortkinder betreut. Arash zeigt sich und seine Geschwister, wie sie zunehmend ratlos sind, welcher Kultur sie eigentlich noch zugehören. Er erzählt von einer ungewöhnlichen Reise: 20 Jahre nach der Flucht traf sich das Gros der Familienangehörigen in Mekka - ein nicht ganz ungefährliches Meeting. Wie viel hier aber gelacht, gefeiert, gesungen wird!

Das Gesicht einer Sache, so John Berger einmal, sähen wir nur, "wenn sie uns anschaut". Die Verwandten, die Arash filmt, sie schauen nicht nur ins Objektiv der Kamera. Ihre Blicke schauen ihn und jetzt auch uns ganz direkt an, als wollten sie vergessen machen, dass das Bild, das man von ihnen anfertigt, nur ein magerer Ersatz ist.

"Wenn du schlechte Literatur machen willst, dann arbeite autobiografisch", zitiert im Film einmal Arashs Vater den Dichter Salman Rushdie.

Exile Family Movie ist eine nichts weniger als grandiose Widerlegung dieser These. Nicht zuletzt auch, weil Arashs Dokumentation sich weniger in der Darlegung eines solistischen Standpunkts ergeht als in vielen Perspektiven: Unter "Kamera & Ton" werden in den Credits neun Namen aufgelistet, entsprechend sprunghaft und zugleich rettend fragmentarisch ist der Duktus. Die Blicke der hier Porträtierten sind fest, ihr Sprachreichtum ist überwältigend. Dennoch ist dieser Film niemals apodiktisch. Er lebt von Nebensächlichkeiten und widersprüchlichen Gefühlen.

Höchste Empfehlung! (Claus Philipp / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.9.2006)