Der heutige Streik der Eisenbahner wurde bisher hauptsächlich als Lachnummer kolportiert. Nicht ohne Grund: Man wird in der Geschichte der Arbeiterbewegung vergeblich nach einer Arbeitsniederlegung suchen, die so von untertäniger Beflissenheit getragen gewesen wäre wie der österreichische Eisenbahnerstreik des Jahres 2000. Man werde es schon so einrichten, wurden die Gewerkschafter nicht müde zu versichern, dass die Kunden möglichst wenig davon merken würden. Spürbar wird lediglich der "Solidaritätsstreik" bei den Wiener Verkehrsbetrieben sein. Der kundenfreundliche Streik: eine zutiefst österreichische Erfindung. Es gibt nur zwei Motive für eine solche Vorgangsweise: Verblödung oder schlechtes Gewissen. Und obwohl der gelernte Österreicher davon ausgehen würde, dass er es wieder einmal mit "ein bisschen von beidem" zu tun hat, scheint es sich hier um einen glatten Fall von schlechtem Gewissen zu handeln: Die Eisenbahner wissen, dass kein Mensch die "Anliegen", für die hier - fast - gestreikt wird, als "gerecht" erachten könnte. Und hier wird der Spaß zum Ernst: Hinter der Kuriosität des österreichischen Bummelstreiks verbirgt sich eine ernsthafte Krise der Gewerkschaftsbewegung. Sie ist im Kern eine Kontinuitätskrise: Es ist nicht länger automatisch so, dass die Anliegen der Gewerkschaften mit den Anliegen der sozialistischen oder sozialdemokratischen Parteien identisch sind. Das eiserne Schweigen der SPÖ unter ihrem neuen Vorsitzenden Alfred Gusenbauer zu den Fragen der Pensionsreform, die den aktuellen Anlass für den schaumgebremsten Arbeitskampf bieten, spricht Bände. Und die Schärfe, mit der deutsche und englische Gewerkschaftsführer gegen ihre sozialdemokratischen Regierungschefs agitieren, gibt der SPÖ einen zarten Eindruck von dem, was sie erwartet hätte, wäre sie ein weiteres Mal in den Genuss einer Regierungsbeteiligung gekommen. "Modernes Regieren", wie der "dritte Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus neuerdings heißt, verträgt sich scheinbar schwer mit dem, was österreichische Eisenbahner sich unter dem wirklichen Leben vorstellen. Soziologen und Politologen neigen dazu, die Schwäche der Gewerkschaften in ihrer nationalen Verankerung zu sehen: Angesichts der globalen Mobilität vor allem des Kapitals seien die auf nationaler Ebene agierenden Gewerkschaften ins Hintertreffen gelangt. Der Befund wird zutreffen. Zugleich scheint sich innerhalb der postindustriellen Gesellschaften etwas breit zu machen, was man als die "Melancholie der Erfüllung" bezeichnen könnte: Wo der Kampf um die Grundrechte der Arbeitnehmer siegreich seinen Zenit überschritten hat, verliert er sich im Gerangel um "wohlerworbene Rechte", die zunehmend als nicht zu rechtfertigende Privilegien wahrgenommen werden. Optimisten der neuen Unternehmerkultur wie der Trendforscher Matthias Horx sehen "neue gewerkschaftliche Organisationsformen" heraufdämmern: die losen Zusammenschlüsse von freien - freigesetzten? - Einzelunternehmern zu Dienstleistungsgemeinschaften. Hier würde aus unternehmerischem Interesse das praktiziert, was früher Aufgabe der Gewerkschaften gewesen sei. Auch bei weniger optimistischer Prognose wird deutlich: Die Gewerkschaftsbewegung wird um eine substanzielle Neudefinition ihrer Mission nicht herumkommen. Es kann nicht gut gehen, wenn im Zeitalter der Nanotechnologie mit Dampfmaschinen-Vokabular agiert wird. Die Ermunterung, welche die Gewerkschafter derzeit von verschiedenen Seiten erhalten, ist trügerisch: Sie gründet in der Ablehnung der gegenwärtigen Regierung, nicht in der Identifikation mit dem Kampf um "wohlerworbene Rechte". Michael Fleischhacker