Von Wien aus absolut machbar: die Abendvorstellung im Slowakischen Nationaltheater in Bratislava zu besuchen.

Foto: City of Bratislava
Schlendert man durch die Staré Mesto, die Altstadt Bratislavas, hört man aus dem umströmenden Sprachgewirr auffällig wenig deutsches Idiom, noch weniger in (ost-)österreichischer Färbung. Sitzt man beim Festival "Viva Musica" auf freiem Platze und genießt eine gelungene Gegenüberstellung der "Vier Jahreszeiten" Vivaldis mit jenen Piazzollas fällt es genauso wie in Museen und Ausstellungen auf: Viele Sprachen, wenig Wiener Schmäh. Obwohl die Zwillingsstadt nur "zweimal umfallen" weit entfernt liegt und das kulturvernetzende Twin-City-Konzept bereits seit 2005 besteht.

Die Umfrage im Bekanntenkreis bestätigt: Ja, man war hinter der Grenze shoppen, essen, feiern. Aber Ausstellungen, Konzerte, Umgebungsziele wie die kleinkarpatische Weinstraße? Achselzucken. Trotz aller Initiativen kulturellen Zusammenwachsens öffnen die Schranken im Hirn oft nur fürs sonntägliche Einkaufen, ein Chateaubriand und fünf Bier. Neben Gratislava und Partislava gibt es aber auch die Identität der Kulturstadt Bratislava.

Die Frage "Schatz, gehen wir heute in Wien oder in Bratislava ins Konzert?" wird westlich der March noch viel zu selten gestellt - zu Unrecht angesichts des attraktiven Herbstprogramms der Nachbarstadt: Bis kommenden Freitag, 6. Oktober, läuft mit den Musikfestspielen Bratislava noch das wichtigste jährliche Klassikevent. Darbietungen des Dirigentenstars Kent Nagano und des virtuosen argentinischen Klezmer-Klarinettisten Giora Feidmann hat man zwar schon versäumt, es warten aber noch das Finale eines Junginterpretenwettbewerbs, ein Jazzabend unter dem viel versprechenden Titel "Nouvelle cuisine" und - wer's noch aushält - viel Mozart. Ausgleichend stehen weniger bekannte Komponisten wie der tschechische Moderne Bohuslav Martinu auf dem Programm.

Abseits der Klassik-Festivals bieten sich selbstverständlich die Programme der regulären Konzert- und Opernsaison an. Die 100. Geburtstage des Russen Dmitri Schostakowitsch und des slowakischen Komponisten Alexander Moyzes werden in Bratislava jedenfalls nicht so leicht von der "Mozartkugel" überrollt. Außerdem finden mehrmals pro Saison am Sonntagnachmittag Familienkonzerte statt, das erste am 4. November: Rimsky-Korsakows "Sheherazade". Und wer die Opernalternative sucht, kann sich kommenden Montag etwa "Die Hochzeit des Figaro" zu Gemüte führen, wenn auch ohne Salzburg-Star Anna Netrebko.

Grenzgang für den Jazz

Jazz-Freunde sollten am Wochenende vom 20. bis 22. Oktober zum Nachbarn schauen, zum Beispiel tritt am Samstag der in Havanna geborene Latin-Schlagzeuger Ignacio Berroa auf, bevor mit den Franzosen "No Jazz" Grenzgängerisches, das man Electro-Jazz, Sci-fi-Pop oder Post-Funk nennen könnte, auf die Bühne kommt. Und - Überraschung - Bratislava hat ein Flamenco-Festival, das heuer vom 20. bis zum 25. November zum achten Mal über die Bühne geht.

Als nicht musikalisches Zubrot sollen das Monat der Fotografie im November dienen oder das Heurigenfest von 9. bis 11. des Monats, für Letzteres verspricht die Ankündigung, dass der Wein "in Bächen von den Bergen" fließen wird, um Gänsebraten und Lebkuchen zu begleiten. Apropos: Einen sehenswerten Weihnachtsmarkt gibt's auch, ab 26. November mit dem Schwerpunkt Kunsthandwerk und Kulinarisches.

Eine kleine Attraktion versteckt sich im ersten Stock des Palais Pallfy, Panska 19: Dort befindet sich eine schwindelerregende Simulation "unendlichen Wissens": Im Rahmen einer Dauerausstellung über slowakische Kunst des 20. Jahrhunderts durchschreitet man eine Installation Matej Krens, die mit Spiegeln eine Schlucht zwischen endlosen Büchermauern vorgaukelt. (Alois Pumhösel/Der Standard/30.09./01.10.2006)