Die am Montag vorgestellten Exit-Polls belegen, dass die vor der Wahl veröffentlichten Umfragen mit ihrer großen Zahl von Unentschlossenen auch dem Selbstbild der Wähler am Wahltag entsprechen: 15 Prozent der Wähler sagten, sie hätten sich erst in den letzten Tagen entschieden, weitere neun Prozent in den letzten zwei Wochen vor der Wahl.

Besonders ist das der FPÖ, in etwas geringerem Maß der SPÖ zugute gekommen, hat das Fessel+GfK-Institut erhoben - umgekehrt hat gut ein Drittel der ehemaligen ÖVP-Wähler, die eine andere Partei gewählt haben, den Entschluss dazu erst in den letzten Tagen vor der Wahl getroffen. Die Wahlanalyse zeigt, dass es noch nie so viele Wechselwähler (26 Prozent laut Fessel) gegeben hat - ihr Anteil ist seit 1975 kontinuierlich gestiegen; damals waren es erst drei Prozent.

Höchste Haltequote

Dieselbe Untersuchung belegt auch, dass die SPÖ die höchste Haltequote hatte, 85 Prozent der SPÖ-Wähler von 2002 wählten demnach wieder SPÖ. Dieser von der Wahlforschern Peter Ulram und Fritz Plasser angegebene "Tendenzwert" ist aber nur bedingt mit den veröffentlichten Wählerstromanalysen vergleichbar. Diese versuchen, die Umschichtung von Wählern zu quantifizieren.

Die Wahlforscher haben am Montag auch versucht, die Wahlmotive näher aufzuschlüsseln. Plasser: "Rund zwei Drittel können als positive Wähler eingestuft werden. Dass ein Drittel aus Ärger über andere Parteien gewählt hat, unterstreicht den regierungskritischen Charakter der Wahl."

Protestcharakter hatten vier von fünf Stimmen für Hans-Peter Martin, aber auch 52 bis 53 Prozent der Stimmen für FPÖ und BZÖ sowie 34 Prozent der SPÖ-Stimmen. Die Grünen, einst eine Protestpartei, haben nun mit 71 Prozent positiv gestimmten Wählern eine fast so hohe Zustimmung wie sie die verbliebenen ÖVP-Wähler äußern.

Deren Motive sind insoferne interessant, als die Persönlichkeit des Bundeskanzlers nur von jedem vierten ÖVP-Wähler als ausschlaggebend bezeichnet wurde - es ist das am wenigsten wichtige Motiv für die ÖVP-Wähler gewesen. Argumente einer soliden Wirtschafts- und Budgetpolitik, der Verhinderung von rot-grün und traditionelles Wahlverhalten zählten viel stärker.

Plasser verweist darauf, dass das Wahlmotiv Bawag/ÖGB im Lauf der Wahlauseinandersetzung immer mehr an Kraft verloren hat - jenes der Überlegenheit des Bundeskanzlers aber nicht ausreichend an Kraft gewonnen hat. Schüssel hatte (anders als der letzte abgewählte Kanzler Josef Klaus 1970) zwar einen positiven Kanzlerbonus, dieser wäre aber nicht tragfähig genug gewesen. Noch drastischer als Plasser sieht es Günther Ogris von Sora: "Bundeskanzler Schüssel hat am Wahlabend die Schuld auf sich genommen, hat damit aber nur zu einem Drittel recht."

Ebenso wie die Schwäche des Kandidaten wäre die Ablehnung von schwarz-grün und eine Unterstützung der Forderungen der Opposition (etwa Ausstieg aus dem Eurofighter, Abschaffung der Studiengebühren) an der ÖVP-Niederlage beteiligt. "Die ÖVP hat den Kanzler in den Mittelpunkt gestellt und damit Gegenreaktionen ausgelöst", sagt Ogris.

Und er hält der ÖVP vor, dass ihre Botschaft nicht konsistent war: Sie habe einen "Schönwetterwahlkampf" geführt, in dem vor allem gezeigt wurde, wie gut es mit Wolfgang Schüssel gehe. Gleichzeitig aber hat die ÖVP-Teilorganisation ÖAAB permanent den Bawag-Skandal thematisiert "und das hat Zweifel genährt an der Aussage, dass es uns so gut geht."

Kritische Frauen

Sora hat auch intensiv untersucht, wie Männer und Frauen gewählt haben. Dabei zeigt sich, dass die weiblichen FPÖ-Wähler deutlich stärker auf das Ausländerthema aufgesprungen sind als die männlichen, die eher an Heimatgefühl und Österreichertum gedacht haben, wenn sie freiheitlich gewählt haben. Einig sind die Wahlforscher, dass die FPÖ eine "Ein-Thema-Partei" werden könnte. (DER STANDRD, Printausgabe, 3.10.2006)