Gelbbraun mit ein wenig Grün präsentiert sich die griechische Insel Lesbos aus der Luft. Doch bei näherem Hinsehen kann man in die landschaftliche Vielfalt eintauchen: Aleppokiefern und Pinien wechseln sich mit Laubbäumen ab - dazwischen Wildblumen und die berühmten wilden Orchideen. Weite Teile der Insel werden von den rund elf Millionen Olivenbäumen geprägt, die die Grundlage der Haupteinnahmequelle, der Landwirtschaft, bilden. Im Sommer, wenn die Blüten vertrocknet sind, wirkt Lesbos phasenweise fast wüstenhaft. Dann tragen zerklüftete Felsen zum typischen Landschaftsbild bei. An manche Orte der Welt kehrt man einfach immer wieder gerne zurück; und dazu könnte auch Lesbos zählen.

Als eine der wenigen griechischen Inseln, die touristisch noch nicht überfüllt ist, präsentiert sie sich mit ihren Menschen in einer ursprünglichen Form, in der die vielgerühmte griechische Gastfreundschaft oft noch erhalten geblieben ist. Es fällt nicht schwer, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen und bei einem Glas Oúzo in der Cafeteria zu sitzen. Oúzo, ein Anisschnaps, ist das griechische Nationalgetränk, das zumeist mit Wasser verdünnt wird und sich dann milchig verfärbt. Auch dafür ist Lesbos berühmt. An alte Zeiten erinnern neben einem Oúzo-Museum in Plomari manche Gebäude aus der Zeit der Türkenherrschaft. Sie prägen gemeinsam mit zahlreichen alten Fabrikgebäuden sowie rot bedachten Steinhäusern das Erscheinungsbild.

Wer auf der Suche nach pittoresker Landschaft mit sonnigem Farbenspiel am Abend, wunderschönen Kiesstränden, klarem Wasser und kultureller Abwechslung ist, sich aber auch an einer artenreichen Tierwelt erfreut, wird auf Lesbos fündig. Schafe, Ziegen, Esel, Schildkröten und unterschiedliche Vogelarten runden das Bild ab. Die romantische Insel zieht seit jeher Kulturschaffende an. Mancherorts sind Reste der Wandmalereien Theofilos', dem inzwischen berühmtesten Maler naiver griechischer Malerei, zu bewundern. Lesbos hat aber auch viele große Töchter hervorgebracht. Die bekannteste unter ihnen ist Sappho, die wahrscheinlich im antiken Eressós geboren wurde und als erste Lyrikerin der Geschichte gilt. Sie war für Plato die zehnte Muse, für viele andere die größte Dichterin aller Zeiten. Auf der Fahrt durch das Land zeugen nicht nur heiße Quellen von der vulkanischen Vergangenheit der Insel. Aus dieser Zeit stammt auch der versteinerte Wald, dessen Baumstämme in einer faszinierenden Vielfarbigkeit konserviert wurden.

Wer dabei ist, Lesbos zu erkunden, sollte auch eine der Frauenkooperativen besuchen, die die Menschen inzwischen mit Stolz erfüllen. Die Kooperativen haben dazu beigetragen, dass Frauen z.B. zum Tanzen wieder zusammen finden, und durch Handwerk, Kochen und Zimmervermietung ein eigenes Einkommen haben. Die berühmteste Frauenkooperative besteht seit 18 Jahren und befindet sich in Petra. Damit die Insel Lesbos in ihrer beschriebenen Vielfalt und Ganzheit bestehen bleiben kann, wird versucht, auf sanften Tourismus zu setzen. Er soll helfen, die Dörfer weiter zu entwickeln und der Jugend eine Chance zu geben, ihre Zukunft hier gestalten zu können. Deshalb gehen die Bemühungen dahin, bestehende Wander- und Radfahrgelegenheiten und auch Auto- und Motorradverleihe zur Erkundung der hügeligen Insel auszubauen. Daniela Yeoh