Kathrin Stumreich (Mo., 16.10., 13:40)

Montage: derStandard.at
"News from Home/News from
House" (Israel/F/B 2006)
"Amos Gitai (news from house/news from home) hat selbst etwas von einem Haus. Im Gespräch mit dem Publikum im Anschluss, antwortet er manifest wie sein gefilmtes Gebäude. Unangreifbar, abblockend lässt dieser Mann den Besucher, sein Publikum zwar alle Türen auf und zu machen, sein Gerüst bleibt aber, auch wenn mancher Frager ihn in die Enge treiben will und letztendlich bemerkt, dass er selbst lediglich im Vorraum steht.

Foto: APA/EPA/ANSA/Claudio Onorati
Amos Gitai
Sein Zielpublikum? Er antwortet, dass er nicht kalkuliert, sondern einfach nur Filme macht. Welchen Eindruck hatte er von einer etwa 80-jährigen prunkvollen Dame während seines Interviews, zog sie eine Show für den Film ab oder war sie echt? "What did YOU think?", er will weder Auskunft geben über sein Gefühl noch über die Privatsphäre der Personen. "I do have a microphone, and you don´t", erklärt er.

Der Vorraum ist aus Stein. Soll die letzte Sequenz mit Natalie Portman Werbung sein für seinen Film Free Zone? Keine Spur."

* * *


Mit dem Lift nach Korea

Christoph Schwarz (Mo., 16.10., 11:36)

Montage: derStandard.at
15. Oktober: "Wir starten in den Tag mit einem DVD Screening in den Viennale-Räumlichkeiten im Hilton, da wir in den regulären Vorstellungen nicht alle 20 Jury Filme zeitlich unterkriegen. Das Hilton ist ein großes und auch hohes Hotel, wo man mit japanischen Kongressteilnehmern im Lift fahren kann, und die Aussicht ist lässig. Die Filme waren das nur teilweise. Klar verliert der Fernseher von hausaus gegen die Leinwand, aber gute Filme sind gute Filme und es ist dann wohl egal, wo man diese schaut.

"Balordi", die Doku über Langzeithäftlinge in einem toskanischen Gefängnis, die Brechts Dreigroschenoper mit viel Herzblut proben und aufführen, ist gut - und berührt: Ein Häftling erzählt von 2 Jahren in Isolationshaft und einer Freundschaft zu einer Ratte, in einem extrem langen Schuß fährt die Kamera von Mafiosi zu Mafiosi, die ihr verpfuschtes Leben in einem Satz erklären müssen: "Ich bin Paolo aus Brescia, und wollte immer Koch werden – jetzt bin ich hier auf lebenslänglich." Außerdem habe ich schon lang nicht mehr eine auf Film gedrehte Dokumentation gesehen, das will sich ja niemand mehr leisten.

Ganz anders hingegen der Spielfilm "Sa-Kwa" aus Südkorea. Unverständlich vorraussehbare Handlung, langatmig, fad. Da hätten wir gerne nach einer halben Stunde abgeschalten, aber haben dann doch unsere Pflicht getan und brav fertiggeschaut. Ein Mann der sich in eine Frau verliebt, weil sie "the most beautiful thing in this building" ist, eine Mutter die sagt "lustig muss dein Mann nicht sein, nur Geld verdienen." Und das waren auch schon die inhaltlichen Höhepunkte, der Rest plätschert so dahin.

Zur Belohnung gabs gleich danach "Toi et Moi" im Gartenbau, mit einer wunderbaren Julie Depardieu in der farbenfrohen Hauptrolle. Ja genau, das ist der Film mit den Fotoroman-Zwischensequenzen (das war ja auch eine nette Idee!), und die Viennale-Filmbeschreibung passt hervorragend: eine "kleine Romantikkomödie". Ob das jetzt gut oder schlecht ist, bleibt jedem selbst überlassen, ich für meine Teil freue mich da eher auf die deutsche Dramafraktion à la "Montag kommen die Fenster" und "Sehnsucht", weil lustig simma eh selber."

* * *


Zwei Tage und sieben Filme... was bleibt?

Maria Poell (Mo., 16.10., 03:59)

Intime und eindringliche Bilder aus "Tarachime", in dem Naomi Kawase die letzten Lebensjahre ihrer Grossmutter und die ersten ihres Sohnes filmt. Nahaufnahmen eines alten badenden Körpers, verrunzelte Haut und Nippel, die Wassertropfentränen weinen. Nicht weniger persönlich Svyato, in dem der Sohn des Filmemachers sein Spiegelbild entdeckt. Ein präsize inszeniertes und vorbereitetes Experiment, erzählt der Regisseur vor und nach dem Film: zwei Jahre lang hat die Familie mit Plastiklöffeln gegessen und vier Spiegel waren nötig, um den Blick freizugeben auf eine wahrlich ungewöhnliche Begegnung. Ich ist ein Anderer, und das ist Anlass zu Freude, Lust, Aggression und wilden Choreographien.

Foto: Viennale
"Dandelion"
Die Schlusszene aus L´Année suivante, in der die Hauptdarstellerin zu "It´s a wonderful life" von Sparklehorse verschwindet. Und meine Erinnerung an "Dandelion", zwei Jahre zuvor eine Viennale-Proposition. Da erklingen dieselben Töne zu Filmbeginn, in einem weiteren Film, in dem ein junger Mensch mit sich und seinem Leben ringt. Eine wunderbare Unaufgeregtheit und Unmittelbarkeit haben beide Filme gemeinsam, aber der Kontrast zwischen der Trauer im Bild und dem angeblich wundervollen Leben auf der Tonspur war damals ungleich stärker. Während L´Année suivante mich auf Distanz hält, hat Dandelion mich tief berührt.

Foto: Viennale
"In Between Days"
Spätabends bei In Between Days kämpfe ich mit der Müdigkeit und mit meiner Erwartungshaltung, die nicht mit dem zusammenpassen will, was in HD-DVD-Qualität vor mir über die Leinwand flimmert. Damn you Erwaltungshaltung! Trotzdem irgendwie ein feiner Film, lebendig, melancholisch und nah dran an seinen Figuren.

Foto: Maria Poell
Sonntag am frühen Nachmittag im Sichtungszimmer im 8. Hilton-Stock (suuuuper Aussicht, meine Digicam sieht das leider etwas anders) mein erstes Highlight: Balordi. Eine Doku, in der mehr Bewegung und Leben steckt, als in so manchem Spielfilm. Bunt und musikalisch auf der Tonspur wie in den Bildern, in der Montage, im Rhythmus. Unaufdringliche Portraits von Menschen, denen man dabei doch ungewöhnlich nahe kommt. Und immer wieder nahezu vergisst, dass es sich um "Kriminelle" und Gefangene handelt. Mirjam Kubescha erzählt, ohne zu werten. Sozialkritik hat dabei gleich viel Platz wie Humor oder homoerotische Tanzeinlagen. Ich wage zu behaupten: The most feelgood jail movie you´ll ever see.

Die zweite Sichtungs-DVD ist mit Timecode ausgestattet, zuerst störend, dann hilfreich weils das Zählen der verbleibenden Minuten enorm erleichtert. Minuten von denen wir uns wünschen, dass sie schneller vergehen. Mit Sa-kwa konnte glaub ich kein Jurymitglied was anfangen, mir kams vor wie ein misslungener ÖVP-Propagandafilm, zur Tarnung in Korea gedreht: Frauen zurück an den Herd und ab in die Kinderproduktion. Wenn das Sozialkritik sein sollte, dann fehlte ihr jegliche Schärfe.

In einem ausverkauften Gartenbau beweist Julie Depardieu vor der Vorstellung von Toi et moi, dass sie "ein wirkliches komisches Talent für das Kino hat", wie Hans Hurch nicht unkomisch feststellt. Und doch hat mir das Gespräch fast mehr Spass gemacht als der Film.

Foto: Maria Poell
Auch fast spannender als der Film war das Gespräch nach Sommer 04 an der Schlei. Regisseur Stefan Krohmer und Hauptdarstellerin Martina Gedeck stellen sich dem Publikum, das aussergewöhnlich viel zu sagen hat. Das narrative Unterlaufen der Erwartungshaltungen löst Begeisterung wie Befremden aus, die Figuren wirken konturlos wie vielschichtig, die letzte Szene wird leidenschaftlich kritisiert und gelobt. Der Film und das Gespräch passen für mich zueinander, machen gemeinsam Sinn und ergänzen sich. Ganz entschieden meint der Regisseur, dass der Film Fragen stellen soll und keine Antworten geben.... "Wir gehen davon aus, dass der Zuschauer Lust hat, das selbst zu bewerten." Mir ist (noch) nicht nach bewerten.

Aus dem Film nehm ich vor allem ein Bild mit: Zwei schauen aufs Wasser, die Kamera beobachtet sie von hinten und erwischt für einen Moment zwei Segelboote, die sich wie die beiden Menschen links und rechts von ihnen aufeinander zu bewegen. I have always liked the ship in relationship :)