"Soul Visa"

Foto: BBE

SHAWN LEE
Soul Visa
(BBE/Soul Seduction)
Mit der Reputation, einst der "Live-Gitarrist" bei den Spice Girls gewesen zu sein, hat man es eventuell nicht ganz leicht. Doch ließe man Shawn Lee und seinem Solowerk keine Gerechtigkeit angedeihen, würde man ihn nur daran messen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er jung war und dringend Geld brauchte, sollte dabei ebenfalls in Betracht gezogen werden. Zudem hat er sich bereits mit seinem Debüt Monkey Boy "reingewaschen". Einem genialisch verschrobenen Popalbum, auf dem er sich als Meister eines Eklektizismus erwiesen hat, der selbst Beck oder Ween auf die Plätze verwies. Doch, das stimmt. Auch Soul Visa, auf das wir sechs Jahre gewartet haben - diverse Zwischenwerke wie ein seltsames indisch-orchestrales Zwischenwerk unterschlagen wir der Einfachheit halber -, erfreut mit einem prächtig ausgeruhten und doch anziehenden Popentwurf: Es flirren die Gitarren, es jubilieren Konservenstreicher, der Rhythmus groovt, und Lee, der Charmeur, er singt mit übervollem Herzen Songs, die das Wörtchen Soul im Albumtitel in all seiner Zerbrechlichkeit verdeutlichen. Ein Guter? Einer der Besten!

THE EARLY YEARS
Same
(Beggars Banquet/Edel)
Zwischen den monomanischen Harmonien der deutschen Kurzzeitkraftwerker Klaus Dinger und Micha-el Rother alias NEU! sowie dem Erbe der ebenfalls auf die Überzeugungskraft sturer Repetition bauenden britischen Drogenrockdröhner Spacemen 3 haben sich The Early Years ein Nestchen gebaut und dort ihr erstes, konsequent im Schönklang lärmendes Ei ausgebrütet - ihr titelloses Debüt. Mit der rücksichtslosen Konsequenz ihrer Vorbilder will oder kann das junge britische Trio dann aber doch nicht mithalten. Und wohl auch wegen notwendiger Versucher bezüglich der Eigenständigkeit schließen The Early Years das Ganze mit einem Popappeal kurz, der sich Charakteristika bedient, die seit dem Postpunk und dem Frühachtziger-Revival wieder en vogue sind: vom Disco-Schlagzeug bis zu zackig gerissenen Akkorden. Auf ganzer Länge erschöpft sich das ein wenig, insgesamt will man es aber dann doch hören: Die beste Nummer heißt So Far Gone.

JET
Shine On
(Warner)
Wegen Bands wie Jet trauen sich heute wieder verstärkt Menschen selbst zurechtgestutzte Jeansgilets mit sportlichen Aufnähern (Honda, AC/DC, Mazda ...) tragen. Das muss man jetzt echt nicht toll finden, die Musik der australischen Band ist trotz der sie immer schon begleitenden Geschmacksunsicherheiten sehr gut. Wie ihre Kollegen von Wolfmother zelebrieren Jet den 1970er-Jahre-Hardrock. Aber nicht ganz so hart. Denn in all die scharfen Riffs schleicht sich hier auch das Talent zu leicht psychedelisch angehauchten Pop-Stücken, die das Album atmosphärisch abrunden und ihm neben drückenden und jaulenden Rockern zumindest eine zweite Dimension verleihen. Der Einwand, dass man sich dann gleich die Originale - Led Zeppelin oder Black Sabbath - kaufen sollte, ist berechtigt, bringt aber nichts. Wer das fordert, hat Rock 'n' Roll und das Recht der jeweiligen Jugend dar-auf nicht verstanden.

JOHN MARTYN In Session
(Universal) John Martyn, ein britischer Songwriter und bis zu dessen Tod ein enger Freund von Nick Drake, spielte in den 1970ern etliche Sessions für die BBC ein - unter anderem auf Nachfrage von John Peel. Martyn entwickelte in jener Zeit eine Gitarrentechnik, die mit Fuzzbox und Echospielchen einen ziemlich verwegenen Sound generierte, der so spacig klingt, dass er in der Folge bei verdrogten Bombastrockern und öden Schmocks wie Phil Collins ebenso Einsatz fand, wie bei ambitionierten Klangforschern wie Brian Eno, der das Ambient-Moment in Martyns Musik schätzte. Selbst heute klingt das noch unverschämt modern und besitzt - nun erstmals in dieser Form aufgelegt - jede Berechtigung und Notwendigkeit, entdeckt zu werden. Laut aufdrehen! (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.10.2006)