Istanbul - "Eine sehr schöne Überraschung", meinte der Kritiker Celal Üstel von der Zeitung "Milliyet" zur Verleihung des Literaur-Nobelpreises an Orhan Pamuk. Pamuk ist der erste Türke überhaupt, der einen Nobelpreis erhält. Pamuk befand sich zum Zeitpunkt der Bekanntgabe am Donnerstag in den USA, wo er derzeit Vorlesungen gibt.

Sein Kollege Zeki Coskun betonte, nach der von allen Schichten der türkischen Bevölkerung als Provokation empfundenen französischen Parlamentsentscheidung zum Völkermord an den Armeniern sei die Preisverleihung an Pamuk "wie ein Gegengift".

In den Fernsehnachrichten verdrängten Kommentare und Berichte zu Pamuks Erfolg die Verärgerung über die französische Parlamentsentscheidung, die bis zur Pressekonferenz der Nobelpreis-Verleiher die Tagesordnung bestimmt hatte. "Unser erster Nobelpreis", verkündete ein Fernsehsender. Auch Pamuks Kollegen waren außer sich vor Freude. Der Dichter Refik Durbas sprach von einem "Sieg der türkischen Literatur".

Sein Kollege Ahmet Telli zeigte sich zuversichtlich, dass Pamuks Preis die Chance eröffnen werde, das Türkische zu einer Sprache der Weltliteratur zu machen. Er seit stolz auf Pamuk, sagte auch der Chef des türkischen Verlegerverbandes, Cetin Türüner.

Offizielle Freude

Selbst die türkische Regierung, die in den vergangenen Jahren nicht immer stolz war auf den bekanntesten Schriftsteller des Landes, stimmte in den Chor ein: "Die ganze Türkei hat diesen Preis erhalten", sagte Mustafa Isen vom Kulturministerium in Ankara. "Ich gratuliere ihm."

Die türkische Botschaft in Österreich hat zurückhaltend, aber doch erfreut auf den Literaturnobelpreis für Orhan Pamuk reagiert. Es sei großartig, dass erstmals ein türkischer Autor mit dieser hohen Auszeichnung geehrt werde, meinte Botschafter Selim Yenel auf Anfrage der APA. Er betonte jedoch, dass Pamuk den Preis von der Schwedischen Akademie "ausdrücklich für sein literarisches Werk und nicht für seine umstrittenen Aussagen" bekommen habe.

Der Nobelpreis sei "sehr gut für die Türkei und etwas, worauf wir stolz sind", so Yenel. Dies könne man vor allem deshalb sagen, weil die Akademie "das Geschriebene und nicht das Gesagte", also den Autor und nicht die politische Figur ausgezeichnet habe. Pamuk war in Istanbul wegen des Vorwurfs der "Beleidigung des Türkentums" vor Gericht, weil er in einem Schweizer Magazin von türkischem Völkermord an den Armenieren gesprochen hatte. Yenel rechnet dementsprechend mit "gemischten Reaktionen" aus der Türkei.

Der Botschafter gab an, frühere Werke von Pamuk gelesen zu haben. "Ich mochte 'Die weiße Festung' und würde gerne noch mehr lesen." Er betonte gleichzeitig, dass es in der Türkei sehr viele gute Autoren gebe, und äußerte die Hoffnung, dass diese durch den Nobelpreis für Pamuk nun ebenfalls stärker rezipiert würden. Auf jeden Fall sei die Auszeichnung eine "sehr gute Publicity für die türkische Literatur".

Rechtsnationalisten unversöhnlich

Pamuk ist ein leidenschaftlicher Anhänger des türkischen Europa-Strebens und zählt den EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn zu seinen Freunden und Bewunderern. Weil Pamuk in einem Schweizer Magazin vom türkischen Völkermord an den Armeniern sprach, musste er in Istanbul wegen des Vorwurfs der "Beleidigung des Türkentums" vor Gericht, der Prozess wurde wenig später eingestellt. In der rechtsnationalistischen Ecke wurde der Vorwurf am Donnerstag sofort wieder aufgewärmt. Der Anwalt Kemal Kerincsiz, der Pamuk im vergangenen Jahr vor Gericht gebracht hatte, kommentierte Pamuks Nobelpreis mit den Worten, "diese Person" habe die Auszeichnung nicht für seine literarischen Qualitäten erhalten, sondern wegen seiner Armenier-Äußerungen. "Wenn Pamuk gesagt hätte: "Ich bin Türke', hätte er den Preis nicht bekommen", ätzte Kerincsiz. Der rechtsgerichtete Jurist sieht auch eine Verbindung zwischen Pamuks Preis und dem in Frankreich verabschiedeten Gesetz, das die Leugnung des türkischen Völkermordes an den Armeniern unter Strafe stellt. "Beide Dinge haben dasselbe Ziel", sagte Kerincsiz. "Die Europäer wollen die Türkei spalten."

In Armenien ist die Vergabe des Literaturnobelpreises an den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk mit Genugtuung aufgenommen worden. Pamuk habe den Preis auch deshalb bekommen, weil er die Wahrheit über den osmanischen Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg geschrieben habe, sagte der Vorsitzende des armenischen Schriftstellerverbandes, David Muradjan, am Donnerstag der dpa in Eriwan. "Das ist eine Verbindung des Literatur-Preises mit der Moral", bekräftigte der Schriftsteller und Filmkritiker. (APA/dpa)