Männer drücken ihre Schmerzen anders aus als Frauen, Männer leiden anders als Frauen, Männer verwenden ein anderes Vokabular als Frauen. Wie also soll eine Ärztin oder ein Arzt wissen, dass es sich bei zwei Krankengeschichten um das Gleiche handelt?

Illustration: DER STANDARD/Michaela Köck
Frauen schildern ihre Krankheiten anders als Männer; Männer wie Frauen reden wiederum ganz anders über ihre Leiden als Ärzte. Eine Annäherung, speziell zwischen Patienten und Medizinern, tut Not. Das Wiener Institut für Sprachwissenschaft legt nun die Basis dazu.

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Über Schmerzen zu reden ist, worauf schon Ludwig Wittgenstein hinwies, eine leidige Sache: Zwar können wir leicht ausdrücken, dass wir Schmerzen haben; den Schmerz als solchen können wir hingegen nicht wirklich zur Sprache bringen. Es existiert nämlich keine "Privatsprache", die eine 1:1-Abbildung oder einen "Ausdruck" der Schmerzempfindung im Sinne eines "Selbstabdrucks" zuließe. Wir können immer nur auf die mit anderen geteilte Sprache zurückgreifen, um unseren Zustand zu vermitteln. Wobei wir in diesem Fall gerne Metaphern von der Art "Es ist, als ob ..." benutzen, um Worte für das, was wir spüren und erleben, zu finden.

Das ist aber auch die Crux an der Geschichte mit den Schmerzen. Denn nicht nur bieten Metaphern große Interpretationsspielräume; auch gibt es in der Regel nicht "die eine" mit anderen geteilte Sprache. Vielmehr benutzen Naturwissenschafter andere "Vokabulare", wie es der Philosoph Richard Rorty formuliert, als Geisteswissenschafter; Ärzte andere als Nichtärzte. Was zur Folge hat, dass unterschiedliche Gruppen von Menschen eben auch unterschiedlich über Schmerzen und Krankheiten reden. Und sich so untereinander mit Missverständnissen und Übersetzungsproblemen herumschlagen müssen.

Besonders problematisch werden letztere, wenn sie zwischen Ärzten und Patienten bestehen. Was viel öfter der Fall ist, als man glauben möchte - wenn diese Übersetzungsprobleme nicht überhaupt die Regel sind. "Es besteht nämlich eine tiefe Kluft zwischen den sprachlichen Differenzierungen, die eine medizinische Fachkraft in Sachen Schmerzen und Krankheit macht, und jenen, die von den Menschen im Alltag produziert werden", weiß etwa Florianz Menz zu berichten, der als Professor am Wiener Institut für Sprachwissenschaft tätig ist.

Seit Jahren beschäftigt er sich mittlerweile mit dem Thema Schmerzdarstellung, wobei der Abbau der genannten Kluft ein zentrales Thema seiner Arbeit ist. Besser gesagt: zunehmend wird. Denn vorerst war Menz gewissermaßen mit Grundlagenforschung beschäftigt: Angeregt von "einer Oberärztin, die zu mir kam und davon berichtete, dass Frauen und Männer ihren Schmerz ganz anders beschreiben", begann er sich ausführlich mit dem Thema Schmerzdarstellung auseinanderzusetzen. Und die Aussagen der Oberärztin zu überprüfen.

Diese hatte ihre Beobachtungen bei Patientinnen und Patienten mit Brustschmerzen gemacht, die im Zuge koronarer Herzerkrankungen auftreten. Tatsächlich konnte auch Menz eklatante geschlechtstypische Unterschiede feststellen. "Männer stufen beispielsweise ihren Schmerz nach oben, während Frauen das genaue Gegenteil tun." Im Klartext: Während ein Mann bei der - nachträglichen - Beschreibung etwa Dinge wie "Ich wusste gleich, dass das etwas ganz Schlimmes ist" sagt, wird eine Frau eher eine Aussage wie "Die Schmerzen waren unangenehm, aber zum Aushalten" tätigen.

Soziales Umfeld

Was bereits eine Richtung oder einen Trend vorgibt. Denn ebenso ist es ganz typisch für weibliche Patientinnen, dass sie in ihrer Schilderung das Erdulden der Schmerzen herausstreichen oder bei der Schmerzbeschreibung das soziale Umfeld miteinbeziehen, also etwa Formulierungen wie "Es war so schlimm, dass ich nicht einmal mehr meinen Hund versorgen konnte" gebrauchen. Durchhalte-Motive und ein "im Durchhalten noch auf die anderen achten" bestimmen folglich die diskursiven Praktiken der Patientinnen, wenn es um die Vermittlung ihrer Schmerzen geht.

Was von Männern nicht gerade gesagt werden kann. "Diese neigen vielmehr dazu, in die aktive Rolle zu schlüpfen und ihrem Schmerz gleichsam mit Wissen zu Leibe zu rücken." Was, so Menz weiter, konkret bedeutet, dass männliche Patienten zum Beispiel größten Wert darauf legen, in einer Symptom-Sprache zu sprechen, mit der genau angegeben wird, was wo wie lange ("Es war ein stechender Schmerz am Rande des Brustbeins, der einige Minuten dauerte") weh getan hat.

Aus diesem Grund werden Männer von Ärzten auch meist weit besser verstanden, ist doch die Ärzte-Sprache von genau solchen aktiven, symptomorientierten Männern in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt worden. Frauen hingegen weichen stark von diesem Symptom-Vokabular ab - was ihnen nicht nur den Ärger der behandelnden Ärzte (und auch der Ärztinnen) einbringt: Viel problematischer ist, dass sie aufgrund dieser Sprachdifferenzen oft nicht passende Diagnosen erhalten. Und mithin ganz reale (und nicht bloß irgendwelche symbolischen) Nachteile erfahren.

Verschieden leiden

Von diesen Forschungsergebnissen ausgehend, wird von Menz und seinem Team in einem neuen, vom Wissenschaftsfonds finanzierten Projekt mit dem Titel "Schmerzdarstellungen und Krankheitserzählungen" gerade untersucht, ob sich das alles auch für andere Arten von Schmerzen bestätigen lässt; genauer gesagt: für Kopfschmerzen.

Allem Anschein nach ist das tatsächlich der Fall, wobei sich ebenso die Sprachbarrieren zwischen Patienten, Patientinnen und Ärzteschaft wiederholen dürften. Weshalb es Menz in dem genannten Projekt auch ein Anliegen ist, einmal systematisch darzustellen, wie Schmerzen in der deutschen Sprache außerhalb des Mediziner-Kontexts artikuliert werden; zum Beispiel, wenn es zu einer spontanen Schmerzäußerung kommt. Eben mit dem Ziel, die Übersetzung und damit die Kommunikation zwischen diesen Gruppen zu erleichtern.

Wohin Letzteres in der Praxis führen könnte, macht Menz an einem einfachen Beispiel deutlich: So ist es für Ärzte etwa immens wichtig, zu lernen, in Patienten/Patientinnen-Gesprächen auch auf die Gesten der Männer wie Frauen zu achten. Denn in diesen wird oft viel vermittelt: "Wer mit dem Finger an die Schläfe tippt, signalisiert damit, dass es sich um einen punktuellen Schmerz handelt." Während, wie Menz ergänzend ausführt, die Hand, die vielleicht vom Nacken zur Stirn fährt, auf einen verlaufenden Schmerz verweist. Das kann oft aufschlussreicher als die berühmten 1000 Worte sein, die jemand spricht.

Ebenfalls von Bedeutung ist nach Ansicht von Menz zudem eine Veränderung der Kommunikationsstrukturen. "Ärzte sind oft der Meinung, dass die Anamnese-Gespräche ins Unendliche ausufern würden, wenn sie die Patienten oder Patientinnen einfach reden ließen." Weshalb sie diese Gespräche meist relativ strukturiert halten.

In der Tat ist aber die genaue Umkehrung der Fall: Je freier die zu behandelnden Frauen und Männer im Gespräch agieren können, "desto schneller kommt der Arzt zu den für die Kur relevanten Informationen". Es erscheint daher sinnvoll, die Patienten und Patientinnen zuerst einmal aus sich heraus erzählen zu lassen, um dann erst das Gespräch in strukturierte Bahnen zu lenken - was für nicht wenige Ärzte (und natürlich auch für nicht wenige Ärztinnen) allerdings einen Kulturbruch bedeuten würde.

Freilich: Beiträge zu einer Verbesserung der Übersetzung sind das nicht. Doch das "Heranführen der medizinischen Kategorien an den Alltag", wie es Menz formuliert, ist auch gerade erst im Gang und soll sich so wirklich in einem nächsten Projekt entfalten. Tatsächlich geht es jetzt einmal darum, "Basisarbeit" zu leisten und die ganzen existierenden "Sprachschwierigkeiten" aufzuzeigen, sagt der Wissenschafter. Was ja schon passiert. Und auf den Rest darf man gespannt sein. (Christian Eigner/DER STANDARD, Printausgabe, 18. Oktober 2006)