Kathrin Stumreich (Mi., 18.10., 12:37)

Knast II: Itineraires

VIENNALE
" Itineraires" (F 2005)
"Ständig gehe ich aus französischen Filmen und schwöre mir: das war mein letzter. - Manchmal lande ich aber einen Volltreffer, wie Oublie moi (Noemie Lvovsky 1994) oder auch Feux rouges (Cedric Kahn 2004) und wie gestern abend Itineraires (Christophe Otzenberger), den ich schon fast gegen ein frühes Schlafengehen eintauschen wollte.

Sie haben ihre Joker, die Franzosen und sie können sie auch ausspielen. Sensible aber brutale Männlichkeit, höchstoffensive Frauen, wir könnten uns einiges abschauen. Ein wolfsähnlicher Hauptdarsteller, Schweine die ihre Freiheit nicht wollen, Bügeleisen, die Narben auf Unterarmen verpassen. Der Film ist exakt um 00:34 aus, wenn die letzte U Bahn fährt. Ich hoffe die Flucht des Wolfes endet nicht so wie mein Wettlauf zum Stubentor. Ich hab' sie leider versäumt"

Knast I: Idioten! Deppen! Vollkoffer! BALORDI

"Im Spiegel sehe ich mich da wo ich nicht bin"...; so scheinen viele Insassen das Leben in Volterra zu empfinden. Was für ein Raum aller Räume ist das Gefängnis überhaupt? It´s the world we live in, not the jail. It makes you go bananas, wie ein Farbiger bemerkt. Erleichternd, dass dieser Film aus Italien kommt, nach Krisen diverser Instituionen der letzten Jahrzehnte.

"Das Schiff, das ist die Heterotopie schlechthin. In den Zivilisationen ohne Schiff versiegen die Träume, die Spionage ersetzt das Abenteuer und die Polizei die Freibeuter". (Foucault, ebenso wie obiges Zitat)

VIENNALE
" Balordi" (D/I 2005)

Wird hier die Utopie zur Atopie und ähnelt trotzdem weiterhin dem Schiff?

Der Wärter scheint sich nicht wirklich entschieden zu haben, ob er der Exekutive oder den Freibeutern angehören will. An der Wand stehenden Häftlingen wird dieselbe Frage gestellt: Was wollten sie als kleiner Junge werden, und was ist jetzt aus ihnen geworden.

Nur zwei können mit den Augen in die Kamera sehen, während sie sprechen: I wanted to become a criminal and I became one.
I wanted to become a mafioso, and I am one.
Diejenigen, die Koch, etc. werden wollten, können keinen Blickkontakt herstellen.

Was passiert hier, in dieser Institution, in der Unrecht zur Wahrheit wird, und Recht zu einer Lüge, Polizisten zu Piraten?

Aber was ist die Alternative zum Gefängnis, oder besser, wie könnte eine Komplementärexekutive aussehen? Wenn dies nicht gelöst werden kann, werden wir weiter hoffen müssen, dass es Johnny Cashs gibt und Bert Brecht-Regisseure, die freiwillig in den Knast gehen.

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Maria Pöll (Mi., 18.10., 03:19)

damit ich auch mal ein bisschen in meinem bett schlafe und nicht im kino, selektion und keine kommentare mehr zu allen filmen. stattdessen ein paar zitate. mit fussnoten ;)

"das kino ist genauso gut und schlecht wie die ganze welt" (hans hurch)

montag nachmittag treffen wir hans hurch. hans hurch trifft die publikumsjury. in diesem gespräch inkl. unfreiwilligem fotoshooting fällt der schöne zitierte satz. weiters erinnere ich mich daran, dass ich noch einem anderen gedanken sehr viel abgewinnen kann, auch wenn das wenig an meiner wahrnehmung des gedankenauslösers (sa-kwa) ändern wird. "die vorhersehbarkeit der geschichte ist das realistische daran." ja, ich finde auch dass es mutig ist, vorhersehbare, alltägliche geschichten zu erzählen. und dass filme ihren mehrwert oft daraus gewinnen, besonders ungewöhnliches und unrealistisches zu erzählen. "das nennt man dann kino" :)

"what´s the difference between kissing a boy or a girl? boys have beards. otherwise it´d be the same thing." (glue)

VIENNALE
" Glue" (Argentinien 2005)

glue gewinnt mich mit dem ersten bild, den farben, dem licht, dem stimmigen wechsel des filmmaterials, mit den haaren von lucas und damit dass da einer mit musik in den ohren fahrradfährt durchs bild. was musik bedeuten kann unabhängig davon wie alt wir sind, was schön und weniger schön dran sein kann jung zu sein, einen sommer lang in argentinien. eine superentspannte erzählung, die sich zeit lässt und sich doch nie zuviel davon nimmt. der erste film dieses jahr, den ich einfach nur genieße. ausserdem das beste thank you in den credits bisher: the moldy peaches for all their inspiring music.

"sorry is nothing but worn out joy" (old joy)

nochmal musik. will oldham aka bonnie prince billy begleitet mich heut durch den tag. im gartenboyfoyer erklingt vor den journals of knud rasmussen "new partner" und stimmt mich auf die 23h vorstellung von old joy ein. die journals verschlafe ich minutenweise und erträume mir meine eigenen dialogzeilen, die etwas bunter und spannender ausfallen als der film selbst. immer wieder schrecke ich irritiert auf, weil die auf der leinwand doch ganz was anderes reden als ich eben noch geglaubt habe zu hören bzw zu lesen. die teilweise ausbleibenden untertitel erhöhen die irritation und ich kann der fragmentarischen geschichte erst in der zweiten hälfte wieder folgen. wobeis da eh nicht viel zu verfolgen gibt, mehr eis, gesang und fragment als geschichte.

VIENNALE
" Gerry" (USA 2002)

die wege durchs eis, durch den wald und durch die wüste laufen dann in old joy zusammen. irgendwo hatte ich was gelesen das meine erwartungshaltung auf gerry programmiert hat. die musik von yo la tengo, die kamerafahrten und nicht zuletzt ein satz von kurt aka will oldham aka bonnie prince billy docken dann aber an einer ganz anderen lieblingsfilmerinnerung an und ich seh kurz johnny depp und gary farmer in dead man durch den wald reiten, das schwarzweisse bild im kopf legt sich über das bunte auf der leinwand. will oldham sagt sowas wie "it´s like an old eskimo who goes off to die alone" und der kreis zwischen wald und eiswüste schliesst sich.

Maria Pöll

nach dem film radle ich dann mit der "theme for the young at heart" nachhause und freu mich nochmal, dass ich die beiden im dunklen schlagenden herzen gestern abend doch noch sehen konnte.

zwei tage und acht filme, das sind viele herzschlagstunden im dunkeln. aber, um nochmal fremde (dominik kamalzadeh) worte zu stehlen... "manches herz schlägt ewig im dunkeln".

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Nach sechs Stunden ist ein Kinosessel nicht mehr ganz so weich...

Julia Wibmer (Mi., 18.10., 00:10)

"ich weiß nicht, welcher wochentag heute ist, wie das wetter war, was in der welt passiert ist. ich lebe in einem paralleluniversum, ernähre mich von viennale-sportgummi und bewege mich im magischen dreieck zwischen urania, hilton und stadtkino, zwischen palästina, argentinien und russland. wer mich sprechen will, muss einen günstigen moment zwischen den screenings erwischen, beim power-nap vor der nachtvorstellung schalt ich das handy nämlich auch aus.
sonntag, 12.30 uhr: 'julia, gemma einen kaffee trinken?' – 'nein, ich bin gerade unterwegs in ein italienisches gefängnis. probier’s nach dem 25. wieder!'

VIENNALE
" LEONARD COHEN
- I'M YOUR MAN" (USA 2005)

dienstag 00.50: du bist noch wach? – und wie! ich habe gerade leonhard cohen gesehen. die telefonische anbindung an meine alte realität machte mir heute außerdem bewusst: andere leute arbeiten gerade! und jemand springt in diesem moment sogar für mich ein, damit ich urlaub vom normalleben machen kann. man glaubt es kaum, aber dieser luxuszustand kann sich manchmal auch wie arbeit anfühlen: nach sechs stunden ist ein kinosessel nicht mehr ganz so weich..."