Die Backgammon-Würfel sind gefallen, und zwar in Richtung feinste Materialien und exklusive Verarbeitung

Foto: Baldessarini

Es ist nur ein Stück Kalbsleder, gerade so groß wie ein Unterleger für Teller auf einem Esstisch. Am Rand eine Art Etui für Steine, das Leder selbst mit 24 Zickzacknähten, hübsch gearbeitet, ansprechend das Ganze. Aber um 1300 Euro?!

Die Nachbarn im Yachthafen lächeln milde. Sie müssen kein Lederstück aufrollen, sie haben sich ein prächtig schimmerndes Holzquadrat, mit hineingeklebter Tierhaut, mit Tisch dazu direkt in Paris anfertigen lassen, in ihrer Lieblingsfarbe, "for about 22.000 Dollars."

Was die einen wie die anderen auf diesen Vierecken machen können, ist auch nicht mehr, als was Rucksacktouristen tun, die den griechischen Pensionisten lang genug zugesehen haben, selbst auf den Geschmack gekommen sind und im nächsten Laden eine kleine Holzkiste erworben haben: aufklappen, Steine verteilen, würfeln, los geht's.

Tavli nennen es die Griechen, Ludus duodecim scriptorum hieß es einst bei den Römern, Puff auf Deutsch und heute international Backgammon.

Den Spielern im Yachthafen sind die Preise ihrer Untersätze erstens sowieso egal und zweitens erst recht deswegen, weil sie Backgammon auf eine Weise betreiben, bei der beliebige Erwerbskosten kaum ins Gewicht fallen. Sie zocken. Sie vergrößern den Glücksfaktor ins Riesenhafte.

Nämlich so (und jetzt einmal kurz zum Grundsätzlichen): Backgammon, schon vor 5000 Jahren in Persien gespielt, besteht einerseits aus Regeln, die sich seit- her kaum geändert haben. Sie sind viel einfacher als beim vergleichbar alten Schach, doch auch bei ihnen muss man kombinieren und vorausplanen können, im Wortsinn Brücken bauen und Verteidigungen errichten. Ziel ist es, 15 Steine aus den vier Quadranten des Bretts ins eigene Viertel und dann aus dem Spiel zu befördern, mithilfe zweier Würfel (früher waren es drei). Der Gegner tut das Gleiche in der Gegenrichtung, und man hindert sich gegenseitig daran, das Ziel zu erreichen.

Das Mitentscheidende aber sind die Würfel. Denn eine noch so gute Strategie kann durch eine schlechte Hand zunichte gemacht werden, und der Stümper kann gegen den Großmeister gewinnen. Etwas, das es beim Schach nicht gibt.

Darum ist dies das sozusagen ernsthaftere, "königlichere" Spiel, während dem Backgammon immer etwas von Hasardieren anhaftet. Vor allem wenn noch ein weiteres Gebilde ins Spiel kommt, der so genannte Dopplerwürfel. Mit den Zahlen 2, 4, 8, 16, 32 und 64 beschriftet, ermöglicht er es den Kontrahenten, den Einsatz zu potenzieren. Einer bietet die Verdoppelung an, der andere kann ablehnen, dann hat er auf dem bisherigen Niveau verloren, oder er akzeptiert, dann geht's ums Verdoppelte weiter. Und so weiter.

Die Renaissance eines Spieles

Das Doppeln wurde in den 1920er-Jahren zu den Regeln dazuerfunden, damit was weiterging. Der Einsatz kann ein Bleistiftpunkterl auf einer Liste sein, aber auch ein Hundert-Dollar-Schein oder mehr. In den Sechzigern führte die Kombination von Können, Glück und Geld zu ostentativen Turnieren. Schiffsreeder, Filmstars, Magazinherausgeber und andere Größen lieferten sich auf den Bahamas und ähnlich angenehmen Austragungsorten Duelle, bei denen es bereits um ordentlich viel Geld ging (Im kommenden Januar wird wieder ein Wettkampf auf den Bahamas ausgetragen, der Sieger wird um 500.000 Dollar reicher sein).

Gelangweilte Erben würden es spielen, hieß es angesichts des Booms, abgetakelte Aristokraten und Playboys – Hugh Hefner war einer der bekennenden Süchtigen. Irgendwann wurde es – vielleicht deswegen – still um Backgammon. So still, dass eine Renaissance nicht verwundert.

Sie scheint angelaufen zu sein. Häuser wie Hermès sind an ihr beteiligt – mit dem erwähnten Kalbslederfleck – und der Münchner Baldessarini. Die Pariser Isabelle Guédon und Benjamin Caron von der Manufaktur Deuce fertigen unter anderem ganze Tische rund um das Brett, die feinsten Billardtischen in nichts nachstehen, außer in der Größe.

Die Garantie, dass man mit ihnen mehr Spielfreude hat als die Rucksacktouristen aus Griechenland mit ihren Holzkoffern, können sie nicht mitliefern. Backgammon-Puristen allerdings warnen: Das Geklappere auf Holz geht einem auf die Nerven. Über aufgenähte Zacken ("Zungen") stolpern Steine wie Würfel. Mindestens Kunstleder oder Filz sollte es schon sein. Man kann diese Warnungen beherzigen, muss aber nicht. Denn es gibt zwar Regeln. Aber es ist ja nur ein Spiel. (Michael Freund/Der Standard/Rondo/27/10/2006)