Zweifellos ist China die größte Wirtschaftsstory des Jahrzehnts. Noch nie ist eine Volkswirtschaft so schnell gewachsen, sind so viele Arbeiter und Konsumenten auf einen Schlag in die globalisierte Wirtschaft eingetreten. Kein Land, keine Region, ja kaum ein Mensch wird nicht auf irgendeine Weise vom China-Boom berührt.

Doch in jedem Boom steckt eine Blase; und deshalb sollte der Börsengang der Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) am Freitag viele Alarmglocken läuten lassen. Mit einem Volumen von 22 Milliarden Dollar legte ICBC den größten Börsengang der Welt hin, und das Institut gehört nach Marktkapitalisierung nun auch zu den fünf größten Banken weltweit.

Dabei wird leicht vergessen, dass die Bank erst im Vorjahr eine milliardenschwere Geldspritze von der chinesischen Regierung benötigt hat, um seine faulen Kredite zu verdauen. Die Bücher der ICBC schauen nun ziemlich solide aus, aber chinesische Unternehmen sind nicht berühmt für Transparenz und gute Corporate Governance. Das Finanzsystem ist die Achillesferse der chinesischen Wirtschaft, manche Analysten rechnen sogar mit einer regelrechten Bankenkrise. Auch die Struktur der chinesischen Börsen mit ihren verschiedenen Aktienklassen ist nicht gerade einladend.

Die Investoren, die sich in Hongkong und Schanghai um ICBC-Aktien geprügelt haben, waren gar nicht an der Bank interessiert, sondern wollten ein Stück China kaufen – China, weil es cool ist. Doch dies ist ein Szenario, das üblicherweise zum Crash führt, wenn die Markterwartungen nicht ganz erfüllt werden.

Chinas Stärke liegt in seinem riesigen Markt und seinen Produktionsstätten, aber (noch) nicht in seinen Unternehmen. Dieser Börsenboom könnte daher von kurzer Dauer sein. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29.10.2006)