Foto: Kiepenheuer & Witsch
Manchmal zieht in diesen Geschichten eine derartige Traurigkeit auf, dass man sich fragt, warum man sich das alles vor allem auch als Autor antut. Wenn sonst schon niemand lacht, könnte man sich ja wenigstens selbst beim Schreiben ein klein wenig amüsieren. Dem 44-jährigen US-Autor David Foster Wallace geht es allerdings weniger darum, dem konventionellen Erzählen ewig neue Facetten der wenn schon nicht langweiligen, so zumindest langwierigen "großen Geschichten" abzuringen. Er geht lieber in Form eines gnadenlosen literarischen Method-Acting in kleine, klaustrophobisch inszenierte Bildwelten hinein – und darin auf. Selten weiß der Autor bei David Foster Wallace mehr als seine jeweiligen Protagonisten. Am Ende liegt der Leser durch ein technisches K.o. erledigt und bedrückt, aber um eine Erfahrung, von der er gar nicht wusste, dass er sie machen wollte, reicher im Eck. Manchmal ist es beim Lesen auch wichtig, dass man sich sein Unglück wünscht.

Abgesehen von seinem 1996 in den USA erschienenen und lange als unübersetzbar geltenden, 1000-seitigen Roman "Infinite Jest" (eine deutsche Ausgabe soll 2008 in den Handel kommen) und dem mediokren Frühwerk "Der Besen im System" vertraut Wallace weniger dem Großformat. Er entwickelt seine Kurzgeschichten und literarischen Reportagen für Zeitschriften wie The New Yorker vielmehr mit großer Genauigkeit aus den jeweiligen Sprachwelten seiner Sujets. Ähnlich wie der 1989 verstorbene, beinah vergessene US-Großmeister der Kurzgeschichte, Donald Barthelme, von dem heute ganze Heerscharen junger US-Autoren ihre Ideen ausborgen, wechselt David Foster Wallace Sprache, Stil und Duktus in seinen hervorragenden Kurzgeschichtensammlungen "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" und "Kurze Interviews mit fiesen Männern" aus dem Handgelenk.

Wie man auch an seinem im deutschen Raum vielleicht bekanntesten Werk sehen kann, der 1996 entstandenen, aber hinreißend komischen und die Fußnote zum literarischen Stilprinzip erhebenden Karibikkreuzfahrt-Reportage "Schrecklich amüsant aber in Zukunft ohne mich" zählt David Foster Wallace tatsächlich zu den wenigen jüngeren Autoren, die das literarische Spektrum beständig erweitern wollen. Und dies mit, nennen wir es, reflexivem Furor.

In den USA ist jetzt gerade sein neuer Reportagenband "Consider The Lobster" veröffentlicht worden. In dem berichtet Wallace nicht nur über Pornomessen, rechtsradikale Radioshows oder ein Hummer-Wettkochen. Zum Gaudium des literarischen Betriebs pinkelt er auch der schriftstellerischen US-Institution John Updike gehörig ans Bein. Mit einem fundierten und Licht in seine eigenen literarischen Vorstellungen bringenden Rundumschlag, in dem er sich über Updike als Synonym für banales Erzählen beklagt und in obendrein als "GMN", als "Great Male Narcissist" oder "SNOOT (Syntax Nudnik Of Our Time)" bloßstellt, der mit der englischen Sprache umgehe wie die meisten Zeitgenossen heute. Hier würden mit einer Stradivari Nägel ins Holz geschlagen.

Auf Deutsch liegt zeitgleich eine neue Kurzgeschichtensammlung vor: In alter Vertrautheit. Darin startet David Foster Wallace gleich einmal mit einer gut 80-seitigen Reise in das Herz der Finsternis, wie man es sich heutzutage gemeinhin so vorstellt. Wir erleben in "Mr. Squishy" den 34-jährigen Terry Schmidt, Statistiker und Verhaltenspychologe, während einer Marketingsitzung, in der zur Absicherung tatsächlicher Umfragedaten und Verkaufskonzepte für den Auftraggeber, den Hersteller eines neu auf den Markt gebracht werden sollenden Schokoriegels namens "Felony" ("Kapitalverbrechen"), falsche Fährten über manipulierte Zusatzdaten gelegt werden, damit das ursprüngliche Werbekonzept nicht überarbeitet werden muss.

In die das Herz des Lesers mit großem Kummer überziehende Sprache von Werbestrategen und statistischen Weltverwaltern schleichen sich aber bald auch private Beobachtungen und Gehässigkeiten Schmidts, sowie sexuelle Tagträume und Mordfantasien bezüglich anwesender Kollegen. Während dieses furiosen Kammerspiels wird auch deutlich, dass David Foster Wallace in einem Interview einmal gemeint hat, dass sein Lieblingsbuch natürlich das Oxford English Dictionary sei – und dieses auch zum Einsatz komme.

Neben drei weiteren Kurzgeschichten vor allem auch beeindruckend: "Die Seele ist kein Hammerwerk". Hier erinnert sich ein Vater, während er über die Aufmerksamkeitsstörungen seines Sohnes nachdenkt, in weitschweifigen Ellipsen an ein Schulmassaker während seiner Kindheit und entwirft dabei das Bild einer hoffnungslosen Gesellschaft zwischen Wahn und Wirklichkeit, die im Amoklauf ihre Erlösung sucht. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29.10.2006)