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Einen Monat nach der Wahl zeichnet sich noch keine neue Bundesregierung ab; Beobachter und Parteistrategen diskutieren die verschiedensten Szenarien. Michael Bachner und Andrea Heigl geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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Frage: Derzeit liegen die Gespräche zwischen SPÖ und ÖVP auf Eis. Wie lange können Koalitionsverhandlungen prinzipiell dauern?

Antwort: Dafür gibt es keine Frist, theoretisch könnte die ganze Legislaturperiode lang verhandelt werden. Derzeit ist SP-Chef Alfred Gusenbauer mit den Verhandlungen für eine Mehrheitsregierung betraut. Scheitert er, könnte ihn Bundespräsident Heinz Fischer entweder mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragen oder den Verhandlungsauftrag etwa an VP-Chef Wolfgang Schüssel weitergeben. Die schnellste Bildung einer Koalition gelangen 1949 zwischen ÖVP und SPÖ beziehungsweise im Jahr 1983 zwischen SPÖ und FPÖ in jeweils nur 30 Tagen. Am längsten dauerte es bisher 1962 zwischen ÖVP und SPÖ mit 129 Tagen. 1999/2000 brauchten ÖVP und FPÖ 124 Tage.

Frage: Wer könnte Neuwahlen veranlassen?

Antwort: Realistischerweise nur das Parlament: Eine einfache Mehrheit genügt für dessen Auflösung. Laut Verfassung könnte auch der Bundespräsident das Parlament auflösen, und zwar auf Vorschlag der (provisorischen) Bundesregierung. Da es dann de facto kein Parlament gäbe, hätte der Präsident das Recht, Notverordnungen erlassen. Das war allerdings seit 1945 nicht mehr der Fall.

Frage: Wann könnten frühestens Neuwahlen statt finden?

Antwort: Nicht vor Jänner 2007, selbst wenn sich das Parlament schon in den nächsten Tagen mit einfacher Mehrheit auflösen würde. Aufgrund verschiedenster Fristen vergehen mindestens neun Wochen bis zu Neuwahlen.

Frage: Weshalb ist die ÖVP-BZÖ-Regierung noch im Amt?

Antwort: Nach der Nationalratswahl hat der Bundespräsident die bisherige Bundesregierung provisorisch wieder eingesetzt. Wie lange sie nun im Amt bleiben kann, ist in der Verfassung nicht geregelt. Sie könnte über ein Misstrauensvotum des Parlaments jederzeit gezwungen werden, abzudanken. Außerdem könnte der Präsident die Bundesregierung entlassen - eine der wenigen Entscheidungen, die er völlig im Alleingang treffen kann.

Frage: Wie stabil sind Minderheitsregierungen?

Antwort: Theoretisch könnte eine Minderheitsregierung natürlich eine ganze Legislaturperiode lang im Amt sein; in der Praxis ist es aber sehr schwierig, auf Dauer Mehrheiten für Beschlüsse zu finden. Der erste erfolgreiche Misstrauensantrag wäre das Ende einer Minderheitsregierung. Die bisher einzige Minderheitsregierung in der Zweiten Republik unter SP-Kanzler Bruno Kreisky regierte von Frühjahr 1970 bis Sommer 1971. In dieser Zeit wurde die so genannte kleine Strafrechtsreform nahezu einstimmig - lediglich einige ÖVP-Abgeordnete versagten die Zustimmung - vom Nationalrat angenommen. Auch eine Wehrgesetznovelle wurde mit den Stimmen der SPÖ und FPÖ im Nationalrat beschlossen.

Frage: Wer hat die Sitzverteilung im Parlament bestimmt?

Antwort: Den Sitzplan bestimmt die Präsidiale, der die drei Nationalratspräsidenten, die Klubobleute und der Parlamentsdirektor angehören. Die Parteien bringen ihre Vorschläge ein, aufgrund derer wird eine möglichst konsensuale Lösung gesucht. Gibt es keine Einigung, kann der Erste Nationalratspräsident einen Sitzplan verfügen. Damals-Noch-Nationalratspräsident Andreas Khol von der ÖVP musste in der Präsidiale vergangene Woche von diesem Recht Gebrauch machen, denn eigentlich wollten die Grünen nicht neben der FPÖ und diese wiederum nicht neben dem BZÖ sitzen.

Frage: Könnte das BZÖ noch aus dem Nationalrat fliegen?

Antwort: Theoretisch ja, und zwar aufgrund von Paragraf 106 der Wahlordnung: Da sich das Kärntner BZÖ bei den Wahlen anders bezeichnete als die Orangen im restlichen Österreich, könnte eine Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof durchgehen, sagt Verfassungsjurist Heinz Mayer. Allerdings müsste eine andere Partei diese Anfechtung einbringen. Die vierwöchige Frist läuft seit 20. Oktober.

Frage: Angesichts der vielen inhaltlichen Knackpunkte von den Eurofightern über die Gesamtschule bis zur Grundsicherung: Wie viele Beschlüsse gab es in der vergangenen Legislaturperiode eigentlich, bei der SPÖ, Grüne und FPÖ die Regierung unterstützt haben?

Antwort: Gar nicht so wenige: Knapp 48 Prozent der insgesamt 524 Gesetzesbeschlüsse der letzten Legislaturperiode fielen einstimmig. Zehnmal versuchte die Opposition, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen - "seinerzeit" allerdings vergeblich. Auch die Misstrauensanträge der Opposition scheiterten.

Frage: Wem nützt oder schadet der Abbruch der Koalitionsgespräche eigentlich mehr?

Antwort: In der Momentaufnahme, sagt der Politologe Peter Filzmaier, nützt der Abbruch der Verhandlungen der SPÖ und schadet der ÖVP. Das könnte aber ein Muster ohne dauerhaften Wert sein. Denn der um "einige Prozentpunkte" größer gewordene Vorsprung der SPÖ könnte bis zum frühesten Neuwahltermin im Jänner 2007 längst verflogen sein, Stimmungslagen drehen sich oft rasant. Selbst wenn die ÖVP stärker verlieren sollte, könnten die Stimmen zur FPÖ wandern und sich trotz eines klareren Vorsprungs der SPÖ erneut stabile Mehrheit rechts der Mitte ergeben. Die Regierungsbildung wäre damit um nichts erleichtert.

Frage: Kommt es zu Neuwahlen, reicht es dann für die ÖVP, ihre Wähler stärker als am 1. Oktober zu mobilisieren?

Antwort: Rein rechnerisch hat tatsächlich die ÖVP mit 215.000 Stimmen die meisten Verluste an die Gruppe der Nichtwähler verzeichnen müssen. Aber auch rund 180.000 SP-Anhänger gingen nicht zur Wahl - auch diese Gruppe könnte ja frisch motiviert werden. Gelingt es beiden Großparteien annähernd gleich, ihre Klientel stärker als am 1. Oktober wachzurütteln, bliebe es demnach mehr oder weniger beim gleichen Ergebnis. Die SPÖ gewann mit einem Vorsprung von rund 50.000 Stimmen.

Frage: Die SPÖ hat in dem Monat seit der Wahl also noch zugelegt, sagen Umfragen. Warum setzt man dennoch so auf eine große Koalition und stimmt nicht für Neuwahlen?

Antwort: Die große Koalition erscheint der SPÖ als sicherere Option als in ihrem Ausgang nicht vorhersehbare Neuwahlen. Im Verlauf eines neuerlichen Wahlkampfes könnte die SPÖ als derzeitiger Wahlsieger eigentlich auch nur verlieren, sagen Experten.

Frage: Wie lange bekommen die derzeitigen Regierungsmitglieder noch ihr Gehalt ausbezahlt?

Antwort: Derzeit laufen die Bezüge normal weiter. Kanzler Wolfgang Schüssel verdient mit 19.762 Euro monatlich am meisten, Vizekanzler Hubert Gorbach folgt mit 17.391 Euro, die einzelnen Minister verdienen je 15.810 Euro. Jene Regierungsmitglieder, die sich verabschieden, haben ein Anrecht auf Fortzahlung ihrer Bezüge. Laut Gesetz stehen ihnen sechs Monate lang 75 Prozent ihres Aktivbezugs zu, wenn man in dieser Zeit kein anderes Einkommen hat.

Frage: Zieht sich die derzeitige Situation in die Länge: Wann muss es ein Budget für das Jahr 2007 geben?

Antwort: Das Budget 2007 hätte schon eingebracht werden müssen, daher werden für das kommende Jahr - solange es noch kein neues Budget gibt - die Ausgabenansätze von heuer durch zwölf geteilt und Monat für Monat fortgeschrieben. Die Verfassung kennt keine zeitliche Frist für das Auslaufen dieses "automatischen Budgetprovisoriums". Jedoch gibt es ein Druckmittel auf die Verhandler, das darin besteht, nicht mehr als die Hälfte der jeweils vorgesehenen Höchstbeträge für Finanzschulden eingehen zu können. Daher steht das neue Budget in aller Regel bis spätestens Mai, da die Republik sonst irgendwann zahlungsunfähig wird und keine neuen Schulden aufnehmen darf.

Frage: Was ist von den U-Ausschüssen zu erwarten? Wie lange dauern solche Ausschüsse in der Regel?

Antwort: Das Ergebnis der U-Ausschüsse zu den Eurofightern und der Bankenaufsicht steht in den Sternen. Die Ausschüsse wurden mit einfacher Mehrheit von SPÖ, Grünen und FPÖ beschlossen. Kommt es zu Neuwahlen sind sie Makulatur. Durchschnittlich dauerten U-Ausschüsse bisher 20 Monate, der längste in den 70er-Jahren zu Flugzeugkäufen des Heeres drei Jahre und neun Monate.

Frage: Wann wird fix wieder gewählt?

Antwort: 2008 sind Landtagswahlen in Tirol und Niederösterreich angesetzt, 2009 sind EU-Wahlen und Landtagswahlen in Kärnten, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg. 2010 wäre die planmäßig nächste Nationalratswahl. (DER STANDARD, Printausgabe 4./5.11.2006)