Feuergefährlich im Magen-Darm-Trakt: Erreger, die chronische Entzündungen im Bauch verursachen.

Foto: DER STANDARD/Cuhaj, Illustration: Fatih
Die Ursachen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen beschäftigen weltweit die Wissenschaft. In Innsbruck erforscht ein neues Christian-Doppler-Forschungslabor die Entzündungsbiologie bei Morbus Crohn und anderen Peinigern, an denen allein in Europa über eine Million Menschen leidet.

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Über eine Million Menschen in Europa und 30.000 in Österreich leiden an den chronisch- entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Beide Krankheiten verlaufen chronisch, sind nicht heilbar, sehr belastend und können im schlimmsten Fall bösartig enden. 1932 beschrieb der Amerikaner Burrill Bernard Crohn erstmals die später nach ihm benannte Erkrankung. Seither stieg die Anzahl der Betroffenen stetig. Auf 100.000 Menschen kommen in Europa jährlich fünf bis acht Neuerkrankungen.

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa verlaufen schubartig, Morbus Crohn befällt den Darm im Gegensatz zur Colitis ulcerosa abschnittsweise, Crohn kann den ganzen Verdauungstrakt betreffen, Colitis ulcerosa konzentriert sich auf den Dickdarm. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) betreffen vor allem junge Menschen, meist im dritten Lebensjahrzehnt. "Trifft früh, schießt scharf, beeinträchtig die Lebensqualität massiv, nimmt Leute aus dem Arbeitsleben heraus, entsozialisiert sie, hat einen hohen Leidensdruck", beschreibt der Internist und Immunologe Herbert Tilg Krankheit und Folgen.

Wenig Wissen

Immer mehr Kinder und Jugendliche sind von CED betroffen. Die Krankheit tritt im Kindesalter oft ohne die üblichen Symptome (Gewichtsverlust, Durchfälle, Bauchschmerzen, Fieber, allgemeines Krankheitsgefühl, Müdigkeit, blutiger Stuhl) auf. Hinweise wie Wachstumsstörungen würden von Kinderärzten oft nicht entsprechend interpretiert, die Krankheit wird dadurch nicht oder erst spät erkannt, was "dramatische Folgen für den Lebensverlauf" habe, bedauert Tilg den mangelnden Wissensstand. Auch erwachsene CED-Patienten haben meist eine lange Patientenkarriere hinter sich: Bis zur Diagnose von Morbus Crohn vergehen im Durchschnitt mehrere Jahre.

Die Ursachen der CED sind nicht gänzlich erforscht. Fest steht: Es handelt sich um so genannte komplexe Erkrankungen. Einer der kausalen Mechanismen ist für Herbert Tilg "der Toleranzverlust gegenüber der körpereigenen bakteriellen Flora". Was nun den Immunhaushalt so empfindlich stört, darüber ist sich die Wissenschaft noch uneins.

Das Wissenschaftsmagazin Science berichtet über jüngste Forschungsergebnisse aus den USA und Kanada: Ein Forscherteam hat zuletzt eine Genmutation entdeckt, die Menschen offenbar vor einem Morbus Crohn schützt. Es handelt sich um eine Variante im Rezeptor für den Immun-eiweißstoff Interleukin 23 (IL-23), das entzündliche Prozesse im Körper steuert. Substanzen, die den IL-23-Rezeptor blockieren, könnten Entzündungen hemmen.

Diesen Eiweißmolekülen, etwa der Wirksamkeit von Interferonen, ist man im Innsbrucker Christian-Doppler-Forschungslabor auf der Spur. Mit zellbiologischen Verfahren und Molekulartechniken wie Metabolomics- und Proteomicstechnologie sollen die entzündlichen Reaktionen charakterisiert werden. Metabolomics (biologischer Fingerabdruck) und Proteomics, die Proteinanalyse, könnte neben den Genomics, den Genanalysen, weiteren Aufschluss über die Krankheitsentstehung geben.

"Die Entzündungen haben sicher nicht nur einen genetischen Hintergrund", sagt Tilg, denn: "Wenn Japaner in die USA einwandern, verzeichnet man die gleich hohe Inzidenz wie bei Amerikanern." Umwelt- und Ernährungseinflüsse nennt Tilg "zentral", man habe sie aber noch nicht identifiziert. Die Ursachensuche sei bei rund 10.000 Nahrungsbestandteilen, die wir täglich verdauen, sehr komplex.

Nanopartikel in Lebensmitteln

In London wurden Auswirkungen von Nanopartikeln in Lebensmitteln untersucht. Der Studie zufolge beeinflusst die Aufnahme von Partikeln zwischen 100 und 1000 Nanometern offenbar Morbus Crohn. Für die Studie mied eine Gruppe von Morbus- Crohn-Patienten vier Monate lang Lebensmittel mit Partikeln wie Titanoxiden und Aluminiumsilikaten. Die partikelarme Diät verringerte die Krankheitszeichen signifikant, bei der Vergleichsgruppe ohne Diät war keine Besserung ersichtlich.

Ausgeschlossen kann mittlerweile werden, dass CED rein psychosomatische Erkrankungen sind, wie man lange Zeit vermutete. (Jutta Berger/DER STANDARD, Printausgabe, 8. November 2006)