Der Internist und Immunologe Herbert Tilg.

Foto: DER STANDARD
STANDARD: Worauf spezialisiert sich das neue Christian- Doppler-Forschungslabor?

Tilg: Mein Schwerpunkt ist die Entzündungsforschung, der Umgang mit Eiweißstoffen, die Entzündungsprozesse dirigieren. Vor allem Schlüsseleiweiße, wie Zytokine, spielen in der Regulation von Entzündungsvorgängen im Körper eine zentrale Rolle. Neue Therapien basieren darauf, dass man die Zytokine und damit die Entzündung mit Antikörpern hemmt.

STANDARD: Mit welchen entzündlichen Erkrankungen beschäftigen Sie sich konkret?

Tilg: Wir konzentrieren uns auf zwei Hauptthemen. Das erste Thema ist Entzündung und Darm, weil der Darm ein klassischer Bereich für entzündliche Erkrankungen ist. Einer der Hauptgründe ist wahrscheinlich, dass wir im Darm rund 100 Billionen Keime haben.

Die Aufrechterhaltung der Toleranz gegenüber diesen Keimen ist eine lebenslange Aufgabe des Körpers. Bei chronischen Entzündungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa bricht diese Toleranz zusammen. Wir wollen wissen, warum Entzündungen starten und jene Mechanismen des Körpers versagen, die diese Entzündungen stoppen könnten.

STANDARD: Das zweite Hauptthema?

Tilg: Sind die Entzündungen der Leber. Wir wollen herausfinden, wie Diabetes die Leber krank macht und welche Entzündungsreaktionen dabei in der Leber ablaufen.

STANDARD: Sie haben eine Studie über den Einsatz von Interferonen gemacht. Zeichnet sich eine neue Therapie ab?

Tilg: Die Ergebnisse sind ermutigend. Sie haben motiviert, weiter in diese Richtung zu forschen. Interferone sind eine komplexe Eiweißgruppe. Überall, wo die angeborene Immunität eine Rolle spielt wie im Darm, sind Interferone entscheidend, in der ersten frühen Abwehr, in der Immunantwort.

STANDARD: Könnten Interferone das gestörte Immunsystem im Darm stabilisieren?

Tilg: Das ist eine der ersten Fragestellungen in unserem Labor. Noch wissen wir zu wenig über die Interferone im Darm. Was wir wissen, ist, dass sie bei der lokalen Immunantwort eine bedeutende Rolle spielen.

STANDARD: Welchen Stellenwert hat in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit ihre praktische Erfahrung als Internist und Immunologe?

Tilg: Eine Stärke des neuen Forschungslabors wird sein, dass ich ein Standbein beim Patienten habe, täglich die Patienten sehe. (DER STANDARD, Printausgabe, 8. November 2006)