The Ian Fays: "The Damon Lessons" (Homesleep Music)

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Das Schöne an Debütalben ist ihre Unbeflecktheit. Keine Vorgeschichten verstellen den Blick, das ganze Referenzuniversum, das zum Verstehen mancher Musik herhalten muss, senkt sich erst langsam ins Bewusstsein des Hörers. Je länger dieser Moment der Konfusion dauert, desto süßer ist er. Zumindest im besten Fall. So einer liegt hier vor und ist als solcher natürlich die Ausnahme: The Damon Lessons von The Ian Fays.

In der Regel springt heute eine Debütanten-Band meist, ohne eine eigene Idee je von innen gesehen zu haben, als Trittbrettfahrerin auf einen Trend auf und hofft, nicht bereits bei der ersten Richtungsänderung aus der Kurve zu segeln. Den Ian Fays kann man den Trendvorwurf selbst mit schlechtester Absicht nicht machen. Zwar spielen die vier Ladys, zwei Schwesternpaare, mit Folk und Elektronik, und das ist ja durchaus eine gängige Mode. Doch die Resultate ebenso wie die Mittel erscheinen unvergleichbar. Das Quartett aus Los Angeles verzaubert auf diesem gerade einmal über die halbe Stunde Spielzeit schielenden Kleinod mit einer Intimität, die einmal der sehr in den Mittelpunkt gemischten Schmollstimme Sara Fays geschuldet ist. Hier im Zentrum singt sie mit großen Kinderaugen gegen eine tendenziell böse Welt an: It's Okay To Use The F-Word In A Break Up Song rechtfertigt sie im gleichnamigen Song das eben notwendig gewordene Wort angesichts erlittener Ungemach.

Andere Lieder heißen Peppermint Schnapps, Empty Alcohol Bottle oder All The Phones Are Broken In This House, Sir. Titel, die stimmungsmäßig eher nach schlechtem Gewissen klingen und also "down" weisen, sich aber in herzerwärmender Ian-Fays-Art wie ein Wellnesswochenende anfühlen. In ihrer Mädchenzimmerwelt, in der sie ihren eigentümlichen Folk-Pop produzieren, spielen Julia, Lizz, Lena und Sara mit Xylofon, Akkordeon, Bass und Gitarre, drücken Klaviertasten sowie die Knöpfe einer Drum Machine, und man muss schon die von Lee Hazlewood produzierte Girlieband Honey Ltd. kennen, um sich an ähnlich hermetisch erzeugte Schönheit zu erinnern. Wobei The Ian Fays, deren ätherischen Gesang verweigern und lieber ein wenig pampig aufs Xylofon hämmern und im geizigen Infoblatt zur CD lapidar meinen: "The Ian Fays are not Punk, and they are also not 'Not punk'".

All diese Verwirrung wird von der wunderlichen Lieblichkeit dieser Musik weggewischt, die auf scheinbar hoppertatschige Weise die verführerischsten Melodien generiert und sich dabei scheints selbst über die erstaunlichen Resultate wundert. Es ist eine geheimnisvolle Musik, und wenn man nicht egoistisch und unersättlich wäre, müsste man sich eigentlich wünschen, dass die Ian Fays nach The Damon Lessons wieder in dem Nichts verschwinden, aus dem sie zu kommen scheinen. Oder dass sie von Brian Wilson adoptiert werden. Oder von Daniel Johnston. Nur diese beiden Kind gebliebenen Genies und ihre jeweiligen Fantasiewelten fallen einem angesichts dieser schlummernde Unschuld verströmenden Musik ein. Dazu ein großer Schokokuchen und Tapeten mit Sonnenschein! Und eine Blumenwiese! Und Bienen! Neben Gulag Orkestar von Beirut sind The Ian Fays das Wunder dieses Popjahrgangs! (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.11.2006)